Das Verlorene Labyrinth
nachzudenken. Um du Mas würde er sich falls nötig später kümmern. Jetzt war sein Platz an der Seite des Vicomte.
Aber auch Simeon wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Noch immer spürte Pelletier die sengende Angst, die sein Herz erfasst hatte, als er die Leiche im Wasser umdrehte. Und die Erleichterung, als das aufgedunsene Gesicht eines Fremden mit toten Augen zu ihm hochstarrte.
Die Hitze im Saal war unerträglich. Über einhundert Männer von Kirche und Staat drängten sich in dem heißen, stickigen Raum, der nach Schweiß, Furcht und Wein roch. Überall wurden halblaut unruhige und bedrückte Gespräche geführt.
Die Diener an der Tür verneigten sich, als Pelletier erschien, und brachten ihm rasch einen Becher Wein. Direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Saales, stand eine Reihe Stühle mit hoher Rückenlehne aus dunklem, glänzendem Holz, ähnlich wie das Chorgestühl in der Kathedrale Sant-Nasari. Auf ihnen saß die Aristokratie des Midi, die Seigneurs von Mirepoix und Fanjeaux, Coursan und Termenes, Albi und Mazamet. Alle waren sie nach Carcassonne eingeladen worden, um den Festtag von Sant-Nasari zu feiern, und nun wurden sie stattdessen in den Rat berufen. Pelletier sah die Spannung auf ihren Gesichtern.
Er schritt gemächlich zwischen den Gruppen hindur ch, den Con suln von Carcassonne und den führenden Bürgern der Marktflecken und Vororte Sant-Vicens und Sant-Miquel, und sein erfahrener Blick registrierte alles, ohne dass es ihm anzumerken war. Kirchenmänner und einige Mönche drückten sich im Schatten entlang der Nordwand, die Gesichter halb von ihren Kapuzen verdeckt und die Hände in den weiten Ärmeln ihrer Kutten gefaltet.
Die chevaliers von Carcassonne, darunter nun auch Guilhem du Mas, standen auf der anderen Seite des Saals vor dem gewaltigen gemauerten Kamin, der vom Boden bis zur Decke reichte. Der escrivain Jehan Congost, Trencavels Schreiber - und Gemahl von Pelletiers ältester Tochter Oriane-, saß ganz vorn an seinem hohen Schreibpult.
Pelletier blieb vor dem Podest stehen und verneigte sich. Erleichterung zeigte sich auf dem Gesicht von Vicomte Trencavel. »Verzeiht mir, Messire.«
»Schon gut, Bertrand«, sagte er und bedeutete Pelletier, zu ihm zu treten. »Jetzt seid Ihr ja da.«
Sie wechselten ein paar Worte, die Köpfe eng zusammengesteckt, damit niemand mithören konnte. Dann gab Trencavel ihm ein Zeichen, und Pelletier wandte sich der Versammlung zu. »Hohe Herren«, rief er. »Hohe Herren, schweigt still und hört nun Euren Seigneur, Raymond-Roger Trencavel, Vicomte von Carcassona, Besiers und Albi.«
Trencavel trat ins Licht, breitete die Arme zum Gruß aus. Es wurde still im Saal. Niemand bewegte sich mehr. Niemand sprach.
»Benvenguda, hohe Herren, treue Freunde«, sagte er. Willkommen. Seine Stimme klang so rein und ruhig wie eine Glocke, strafte seine Jugend Lügen. »Benvenguda a Carcassona. Ich danke euch allen für eure Geduld und euer Erscheinen.« Pelletier ließ den Blick über das Gesichtermeer schweifen und versuchte die Stimmung der Menge einzuschätzen. Er sah Neugier, Begeisterung, Sorge um die eigenen Interessen und Angst, und er konnte jede dieser Empfindungen nach vollziehen. Solange sie nicht wussten, warum sie hergerufen worden waren und, wichtiger noch, was Trencavel von ihnen wollte, wusste keiner von ihnen, wie er sich verhalten sollte.
»Ich hoffe inständig«, sprach Trencavel weiter, »dass das Turnier und das Fest am Ende des Monats stattfinden können wie geplant. Heute haben wir jedoch eine Botschaft erhalten, die so ernst ist und so weitreichende Folgen haben kann, dass ich es für richtig erachte, sie euch mitzuteilen. Denn sie betrifft uns alle. Für diejenigen unter euch, die bei unserer letzten Versammlung nicht anwesend waren, möchte ich den Stand der Dinge zusammenfassen. Zu Ostern vor einem Jahr predigte Seine Heiligkeit Papst Innozenz III., dessen Legaten und Predigern es nicht gelungen war, die freien Menschen dieses Landes zum Gehorsam gegenüber der Kirche von Rom zu bewegen, einen Kreuzzug, um die Christenheit von dem, wie er es nannte, >Geschwür der Häresie< zu befreien, das sich in den Landen des Pays d'Oc ungehindert ausbreitete.
Die so genannten Häretiker, die Bons Homes, waren, so behauptete er, schlimmer als die Sarazenen. Doch seine Worte trafen trotz all ihrer Leidenschaft und Wortgewalt auf taube Ohren. Der König von Frankreich blieb ungerührt. Unterstützung war kaum zu finden.
Ziel seines Hasses
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