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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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war mein Onkel Raymond VI., der Comte von Toulouse. Genau genommen waren die zügellosen Taten der Männer meines Onkels - die an der Ermordung des päpstlichen Legaten Pierre de Castelnau beteiligt waren - der Grund, warum Seine Heiligkeit auf das Pays d'Oc überhaupt aufmerksam wurde. Meinem Onkel wurde zur Last gelegt, die Verbreitung der Häresie in seinem Land zu dulden - und damit auch in unserem.« Trencavel zögerte, dann korrigierte er sich. »Nein, nicht die Häresie zu dulden, sondern die Bons Homes zu ermuntern, sich in seinem Herrschaftsgebiet niederzulassen.«
    Ein ungemein asketisch aussehender Mönch, der ziemlich weit vorn stand, hob die Hand, um das Wort ergreifen zu dürfen. »Heiliger Bruder«, sagte Trencavel rasch. »Wenn ich noch ein wenig um Eure Geduld bitten dürfte. Sobald ich zum Ende gekommen bin, wird jeder Gelegenheit haben, etwas zu sagen. Dann können wir debattieren.«
    Mit finsterer Miene ließ der Mönch den Arm wieder sinken. »Meine Freunde, die Grenze zwischen Duldung und Ermunterung ist ein schmaler Grat«, sprach Trencavel ruhig weiter. Pelletier nickte unwillkürlich und beglückwünschte ihn insgeheim für sein diplomatisches Geschick. »Und obwohl ich freimütig zugebe, dass der fromme Ruf meines Onkels nicht der ist, der er sein sollte« - Trencavel hielt inne, ließ seine darin enthaltene Kritik nachschwingen -, »und obendrein einräume, dass sein Verhalten wahrlich nicht über jeden Tadel erhaben ist, so steht es uns doch nicht an, ein Urteil zu fällen, was in dieser Angelegenheit richtig und was falsch ist.« Er lächelte. »Sollen die Priester ihre theologischen Streitgespräche führen und uns Übrige in Frieden lassen.«
    Er schwieg kurz. Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht. Auf einmal war keinerlei Helligkeit mehr in seiner Stimme.
    »Es war nicht das erste Mal, dass die Unabhängigkeit und Souveränität unserer Lande durch Invasoren aus dem Norden bedroht wurden. Ich habe keine ernsten Folgen befürchtet. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass christliches Blut mit dem Segen der katholischen Kirche auf christlichem Boden vergossen werden sollte.
    Mein Onkel in Toulouse teilte meine Zuversicht nicht. Von Anbeginn hielt er die Gefahr einer Invasion für real. Um seine Besitzungen und seine Souveränität zu schützen, bot er uns ein Bündnis an. Was ich ihm darauf erwiderte, werdet Ihr sicherlich noch wissen: Dass wir, das Volk des Pays d'Oc, in Frieden mit unseren Nachbarn leben, seien es Bons Homes, Juden oder Sarazenen. Wenn sie unsere Gesetze wahren, wenn sie unsere Sitten und Gebräuche achten, dann gehören sie zu unserem Volk. So lautete damals meine Antwort.« Er hielt inne. »Und so würde sie auch heute noch lauten.«
    Pelletier nickte beifällig, und er sah, dass eine Welle der Zustimmung alle im Saal erfasste, selbst die Bischöfe und die Priester. Nur der einzelne Mönch, ein Dominikaner, der Farbe seiner Kutte nach zu urteilen, blieb ungerührt. »Wir haben eine andere Auslegung von Duldung«, murmelte er mit seinem starken spanischen Akzent.
    Von weiter hinten meldete sich eine andere Stimme zu Wort. »Messire, verzeiht mir, aber das alles ist uns bekannt. Das ist nichts Neues. Aber was ist nun? Warum ruft man uns in den Rat?«
    Pelletier erkannte an dem arroganten, trägen Tonfall den unangenehmsten von Berenger de Massabracs fünf Söhnen, und er wäre eingeschritten, hätte er nicht die Hand des Vicomte auf seinem Arm gespürt.
    »Thierry de Massabrac«, sagt Trencavel mit trügerisch gütiger Stimme, »wir sind für Eure Frage dankbar. Doch die komplizierten Pfade der Diplomatie sind einigen von uns hier noch nicht so vertraut wie Euch.«
    Einige Männer lachten, und Thierry wurde rot.
    »Dennoch, Eure Frage ist berechtigt. Ich habe euch heute hier zusammengerufen, weil sich die Lage geändert hat.«
    Obwohl keiner etwas sagte, veränderte sich die Atmosphäre spürbar. Falls der Vicomte die gestiegene Anspannung wahrnahm, so ließ er sich nichts anmerken, wie Pelletier erfreut feststellte, sondern sprach mit derselben Gelassenheit und Autorität weiter.
    »Heute Morgen haben wir die Botschaft erhalten, dass die Bedrohung durch die Armee aus dem Norden größer ist - und unmittelbarer -, als wir dachten. Das Kreuzheer - wie diese unheilige Armee sich selbst nennt - hat sich am Festtag von Johannes dem Täufer in Lyon versammelt. Unserer Schätzung nach haben sage und schreibe zwanzigtausend chevaliers die Stadt überschwemmt, in Begleitung

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