Das Verlorene Labyrinth
Pelletier ihm noch einen letzten wuchtigen Stoß, mit dem er ihm die Rippen gegen den harten Stein presste, und ließ endlich los.
Anstatt zurück in den Großen Saal zu gehen, stürmte Pelletier in die entgegengesetzte Richtung, hinaus in den Hof.
Sobald er fort war, klappte Guilhem nach vorn, hustete und rieb sich den Hals, schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender. Er massierte sich den Hals und wischte sich das verschmierte Blut von den Lippen.
Allmählich konnte Guilhem wieder normal atmen. Er ordnete seine Kleidung und überlegte schon, wie er Pelletier dafür zur Rechenschaft ziehen könnte, dass er ihn derart gedemütigt hatte. Gleich zweimal an einem Tag. Die Beleidigung war zu groß, um die Sache auf sich beruhen zu lassen.
Als er endlich das gleichmäßige Stimmengemurmel wahrnahm,
das aus dem Saal drang, wurde ihm klar, dass er sich besser zu seinen Kameraden gesellte, ehe Pelletier zurückkam und ihn noch immer draußen stehen sah.
Der Wachposten machte keinen Hehl aus seiner Belustigung. »Was glotzt du so?«, schnauzte Guilhem ihn an. »Du hältst den Mund, verstanden, sonst kannst du was erleben.«
Die Drohung zeigte die gewünschte Wirkung. Der Mann schlug die Augen nieder und trat beiseite, um Guilhem vorbeizulassen. »Schon besser.«
Pelletiers Drohungen klangen ihm noch in den Ohren, als Guilhem so unauffällig wie möglich den Saal betrat. Nur sein hochrotes Gesicht und sein heftig pochendes Herz zeugten noch von dem, was geschehen war.
Kapitel 6
V icomte Raymond-Roger Trencavel stand auf einem Podest am hinteren Ende des Großen Saals. Er sah, wie Guilhem du Mas verspätet hereingeschlichen kam, doch er wartete auf Pelletier.
Trencavels Kleidung war passend für diplomatische Verhandlungen, nicht für den Krieg. Sein roter, langärmeliger Rock mit Goldborte am Hals und an den Ärmelaufschlägen reichte ihm bis zu den Knien. Sein blauer Mantel wurde am Hals von einer großen, runden Goldschnalle zusammengehalten. Sie fing das Sonnenlicht ein, das durch die hohen Fenster oben in der Südwand hereinfiel. Hoch über seinem Kopf prangte ein riesiger Schild mit dem Trencavel-Wappen, mit zwei diagonal gekreuzten Metallspießen dahinter. Dasselbe Zeichen zierte Banner, Festgewänder und Rüstungen. Es hing über dem Fallgitter an dem durch einen Wassergraben geschützten Eingang der Porte Narbonnaise, wo es zum einen Freunde willkommen hieß, zum anderen an die historischen B ande zwischen der Trencavel-Dy nastie und ihren Untertanen erinnerte. Links neben dem Schild hing ein Wandteppich mit einem tanzenden Einhorn darauf, der diese Wand schon seit Generationen schmückte.
Am hinteren Ende des Podestes war eine kleine Tür tief in die Wand eingelassen. Sie führte in die Privatgemächer des Vicomte im Tour Pinte, dem Wachturm und ältesten Teil des Chateau Comtal. Die Tür war mit einem langen blauen Vorhang abgedeckt, der mit drei Hermelinstreifen verziert war, dem Wappen der Trencavel. Der Vorhang schützte ein wenig vor der kalten
Zugluft, die im Winter durch den Großen Saal pfiff. Heute war er mit einer schweren Goldschnur zurückgebunden. Raymond-Roger Trencavel hatte seine frühe Kindheit in diesen Räumen verbracht und war später mit seiner Frau Agnès de Montpellier und seinem zweijährigen Sohn und Erben zurückgekehrt, um wieder in diesen alten Mauern zu leben. Er kniete in derselben kleinen Kapelle nieder, in der schon seine Eltern gekniet hatten; er schlief in ihrem Eichenbett, in dem er geboren worden war. An Sommertagen wie diesem blickte er durch dasselbe Bogenfenster in die Dämmerung und schaute zu, wie die untergehende Sonne den Himmel über dem Pays d'Oc rot färbte.
Aus einiger Entfernung betrachtet, wirkte Trencavel ruhig und unbekümmert. Sein braunes Haar fiel ihm bis auf die Schultern, und er hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Doch seine Miene war angespannt, und seine Augen huschten immer wieder zum Haupteingang.
Pelletier schwitzte heftig. Sein Gewand war steif und unbequem unter den Armen und klebte ihm am Rücken. Er fühlte sich alt. Der Aufgabe, die vor ihm lag, war er nicht mehr gewachsen. Pelletier hatte gehofft, dass ihm die frische Luft einen klaren Kopf verschaffen würde. Aber nein. Er war noch immer wütend auf sich, weil er die Beherrschung verloren hatte und sich durch seine Feindseligkeit gegenüber seinem Schwiegersohn von der anstehenden Aufgabe hatte ablenken lassen. Er konnte sich nicht den Luxus leisten, jetzt darüber
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