Das Verlorene Labyrinth
diesem Punkt lügen?
Bei dem Gedanken an Paul Authié spürte Noubel ein Brennen in der Magengegend. Er schob sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund, um den Schmerz zu lindern.
Das war ein weiterer Fehler gewesen. Er hätte Authié niemals in die Nähe von Dr. Tanner lassen sollen, obwohl er, wenn er es sich recht überlegte, nicht wusste, wie er das hätte verhindern sollen. Gleichzeitig mit der Meldung von den Skeletten am Pic de Soularac war die Anweisung erfolgt, dass Paul Authié Zugang zu der Fundstelle gewährt werden sollte und dass sie ihn unterstützen sollten. Noubel war noch immer nicht dahinter gekommen, wie Authié überhaupt so schnell von dem Fund erfahren hatte, geschweige denn, bei wem er sich die Befugnis erschlichen hatte, an der Ausgrabungsstätte den großen Mann zu markieren.
Noubel war Authié zuvor nie persönlich begegnet, aber er kannte seinen Ruf. So wie die meisten Polizeibeamten. Authié war Anwalt und bekannt für seine ultraorthodoxe religiöse Überzeugung. Es hieß, er habe die Hälfte der Police Judiciaire und der Gendarmerie des Midi in der Tasche. So war beispielsweise in einem Fall, in dem Authié die Verteidigung übernommen hatte, ein Kollege von Noubel als Zeuge berufen worden. Zwei Mitglieder einer rechtsextremen Gruppe waren wegen Mordes an einem algerischen Taxifahrer in Carcassonne angeklagt worden. Man munkelte, dass Leute eingeschüchtert wurden. Letztlich wurden die beiden Angeklagten freigesprochen, und einige Polizeibeamte mussten ihren Dienst quittieren.
Noubel betrachtete Biaus Sonnenbrille, die er vom Boden aufgehoben hatte. Er hatte sich vorher schon nicht wohl in seiner Haut gefühlt. Jetzt gefiel ihm die Situation noch weniger.
Das Funkgerät erwachte mit einem Knistern zum Leben und spuckte die Informationen über Biaus Angehörige aus, die Nou bel brauchte. Er blieb einen Moment sitzen, zögerte die Anrufe noch etwas hinaus. Dann griff er zum Telefon.
Kapitel 1 6
Toulouse
E s war elf Uhr abends, als Alice den Stadtrand von Toulouse erreichte. Sie war zu müde, um jetzt noch nach Carcassonne zu fahren, daher beschloss sie, sich im Stadtzentrum ein Zimmer für die Nacht zu nehmen.
Die Reise war im Nu vergangen. In ihrem Kopf überschlugen sich die Bilder von den Skeletten, dem Messer zwischen ihnen, dem reglosen Körper auf dem Platz in Foix. War er tot?
Und das Labyrinth. Am Ende kehrte sie immer wieder zu dem Labyrinth zurück. Alice sagte sich, dass sie paranoid reagierte, dass es nichts mit ihr zu tun hatte. Du warst einfach im falschen Moment am falschen Ort. Aber sie konnte sich das noch so oft sagen, überzeugt war sie nicht.
Sie streifte ihre Schuhe ab und legte sich vollständig angezogen aufs Bett. Alles an diesem Zimmer war billig. Gesichtsloses Plastik und Sperrholz, graue Fliesen und Holzimitat. Die Laken waren bretthart und kratzten an ihrer Haut wie Papier.
Sie holte den Bushmills Single Malt aus ihrem Rucksack. Es war noch ein kleiner Rest in der Flasche. Plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals. Diese paar Schlucke hatte sie für ihren letzten Abend bei der Ausgrabung verwahrt. Wieder versuchte sie, Shelagh zu erreichen, doch ihre Freundin hatte das Handy noch immer ausgeschaltet. Sie kämpfte ihre Gereiztheit nieder und hinterließ eine weitere Nachricht auf der Mailbox. Sie wünschte, Shelagh würde aufhören, die beleidigte Leberwurst zu spielen.
Alice schluckte zwei Schmerztabletten, spülte mit dem Whiskey nach, ging dann ins Bett und schaltete das Licht aus. Sie war völlig erschöpft, aber sie konnte nicht einschlafen. Ihr dröhnte der Kopf, ihr Handgelenk war heiß und geschwollen, und die Wunde am Arm brannte wie verrückt. Schlimmer denn je.
Das Zimmer war stickig und heiß. Nachdem sie sich eine Ewigkeit hin und her gewälzt hatte und die Glocken zuerst Mitternacht, dann ein Uhr geschlagen hatten, stand Alice auf und öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Es half nichts. Ihr Verstand kam einfach nicht zur Ruhe. Sie versuchte an weißen Sand und klares blaues Wasser zu denken, an karibische Strände und Sonnenuntergänge auf Hawaii, doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem grauen Felsen und der kalten unterirdischen Luft des Berges zurück.
Sie hatte Angst davor einzuschlafen. Was, wenn der Traum wiederkam ?
Die Stunden schlichen dahin. Ihr Mund war trocken, und ihr Herz stolperte von dem Whiskey. Erst als das blassweiße Morgenlicht unter den zerschlissenen Rändern der Vorhänge ins Zimmer
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