Das Verlorene Labyrinth
neben dem ersten. Gesichter wandten sich um, das Dickicht aus Armen und Beinen und Leibern öffnete sich gerade lange genug, dass Alice den Körper auf dem Boden sehen konnte. Heller Anzug, schwarzes Haar, daneben eine Sonnenbrille mit braunen Gläsern und Goldbügeln.
Das kann er nicht sein.
Alice drängte sich durch die Menge, stieß Leute beiseite, bis sie ganz vorn war. Der junge Mann lag reglos auf dem Boden. Unwillkürlich griff ihre Hand nach dem Blatt Papier in ihrer Tasche.
Das kann kein Zufall sein.
Vor Schock ganz benommen, stolperte Alice zurück. Eine Autotür schlug zu. Sie zuckte zusammen, fuhr herum und sah Inspektor Noubel, der gerade aus einem Wagen gestiegen war. Sie schob sich rückwärts in die Masse von Menschen. Er darf dich nicht sehen. Ihr Instinkt trieb sie über den Platz, den Kopf gesenkt, nur weg von Noubel.
Sobald sie um die nächste Ecke war, fiel sie in Laufschritt.
»S'il vous plait«, rief Noubel, der sich einen Weg durch die Gaffer bahnte. »Police. S'il vous plait.«
Yves Biau lag ausgestreckt auf dem unnachgiebigen Boden, die Arme rechtwinklig vom Körper abgespreizt. Ein Bein war unter ihm verdreht, offensichtlich gebrochen, ein weißer Knochen hatte sich durch die Hose gebohrt. Das andere Bein lag unnatürlich flach da, seitlich abgeknickt. Einer seiner braunen Schuhe war vom Fuß gerissen worden.
Noubel ging in die Hocke und tastete nach einem Puls. Der Junge atmete noch, in kurzen, flachen Zügen, aber seine Haut fühlte sich feucht und kalt an, und seine Augen waren geschlossen. In der Ferne hörte Noubel das ersehnte Heulen eines Rettungswagens.
»S'il vous plait«, rief er wieder und stemmte sich hoch. » Pous- sez-vous!« Zurücktreten!
Zwei weitere Polizeifahrzeuge waren eingetroffen. Über Funk war gemeldet worden, dass ein Kollege verletzt war, und die Zahl der Polizisten überstieg inzwischen die der Schaulustigen. Die Beamten verhielten sich professionell und methodisch, doch die Anspannung war ihnen anzusehen.
»Das war kein Unfall, Inspektor«, sagte die Amerikanerin. »Der Wagen ist genau auf ihn zugerast. Er hatte kein Chance.« Noubel sah sie aufmerksam an. »Sie haben den Vorfall beobachtet, Madame?«
»Allerdings.«
»Haben Sie erkannt, was für ein Auto es war? Wagentyp?«
Sie schüttelte den Kopf. »Silbern, da bin ich mir ganz sicher.« Sie wandte sich an ihren Mann.
»Mercedes«, sagte der sofort. »Ich selbst habe nicht viel gesehen. Habe mich erst umgedreht, als ich das Geräusch hörte.« »Autokennzeichen ?«
»Ich glaube, die letzten beiden Ziffern waren eine Elf. Es ging alles so schnell.«
»Die Straße war fast leer, Inspektor«, beteuerte die Frau, als fürchtete sie, dass er sie nicht richtig ernst nahm.
»Konnten Sie sehen, wie viele Personen in dem Fahrzeug saßen?«
»Auf jeden Fall ein Beifahrer. Ob hinten noch welche saßen, habe ich nicht sehen können.«
Noubel reichte sie an einen uniformierten Kollegen weiter, der ihre Aussage aufnehmen sollte, dann ging er zum Rettungswagen, wo Biau gerade auf einer Trage angehoben wurde. Sein Hals und Kopf waren mit einer Stütze fixiert, doch unter dem Wundverband quoll unaufhörlich Blut hervor und färbte sein Hemd rot.
Seine Haut war unnatürlich weiß, wie Wachs. Aus dem Mundwinkel ragte ein Intubationsschlauch, und an der Hand hatte man ihm eine Infusion angelegt.
»Il pourra s'en tirer?« Kommt er durch?
Der Sanitäter verzog das Gesicht. »Wenn ich Sie wäre«, sagte er und knallte die Wagentür zu, »würde ich die Angehörigen schonend vorbereiten.«
Noubel schlug mit der Faust gegen die Seite des Rettungswagens, als der losfuhr. Er wusste, dass seine Männer ihre Arbeit gut machten, daher trottete er zurück zu seinem Auto und verfluchte sich innerlich. Als er auf den Fahrersitz sank, spürte er jedes einzelne seiner fünfzig Jahre. Er dachte über all die Fehlentscheidungen nach, die er heute getroffen hatte und die hierzu geführt hatten. Er schob einen Finger in seinen Hemdkragen und lockerte die Krawatte.
Er wusste, er hätte mit dem Jungen reden sollen. Seit Biau am Pic de Soularac eingetroffen war, war er nicht mehr wiederzuerkennen gewesen. Normalerweise war er engagiert, immer einer der Ersten, die sich freiwillig meldeten. Heute jedoch war er nervös und angespannt gewesen, und dann war er den halben Nachmittag über verschwunden.
Noubel trommelte nervös aufs Lenkrad. Authié behauptete, Biau hätte ihm nichts von dem Ring gesagt. Und wieso sollte er in
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