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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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löste sich das Kreuz und schwebte von ihr weg, wie ein Blatt, das im Herbst vom Baum fällt.
    Der Boden kam näher. Alice hatte keine Angst mehr. Denn selbst als sich die Traumbilder nach und nach auflösten, begriff ihr Unterbewusstsein, was ihr Bewusstsein nicht verstehen konnte. Dass nicht sie - Alice - diejenige war, die da fiel, sondern jemand anders.
    Dass es kein Traum war, sondern eine Erinnerung. Ein Fragment aus einem Leben, das vor langer, langer Zeit gelebt worden war.

Kapitel 17
Carcassona
     
    JULHET 1209
     
    Z weige und Blätter raschelten, als Alaïs sich bewegte.
    Sie hatte den satten Geruch von Moos, Flechten und Erde in der Nase, im Mund. Etwas Spitzes bohrte sich in ihren Handrücken, ein winzig kleiner Stich, der sofort anfing zu brennen. Eine Mücke oder Ameise. Sie konnte spüren, wie das Gift in ihr Blut drang. Alaïs wollte das Insekt wegwischen. Von der Bewegung wurde ihr übel.
    Wo bin ich ?
    Die Antwort, wie ein Echo. Defdra. Draußen.
    Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf der Erde. Ihre Haut war klamm und ein wenig kalt vom Tau. Tagesanbruch oder Abenddämmerung? Ihre Kleidung war ein einziges feuchtes Knäuel um sie herum. Ganz behutsam gelang es Alaïs , sich in eine sitzende Position zu hieven und sich mit dem Rücken gegen den Stamm einer Buche zu lehnen.
    Dogament. Langsam, vorsichtig.
    Durch die Bäume oben am Hang konnte sie sehen, dass der Himmel weiß war und zum Horizont hin eine rosa Färbung annahm. Flache Wolken trieben wie ruhige Schiffe dahin. Sie erkannte die schwarzen Umrisse von Trau erweiden. Hinter ihr waren Bir nen- und Apfelbäume, so spät im Jahr gelbbraun und blass.
    Also Morgendämmerung. Alaïs konzentrierte sich auf ihre Umgebung. Alles kam ihr sehr grell und blendend vor, obwohl die Sonne noch nicht am Himmel stand. Sie hörte Wasser irgendwo in der Nähe, das flach und gemächlich über Steine plätscherte. Weiter weg das typische Kwäck-Kwäck einer Adlereule, die von ihrer nächtlichen Jagd zurückkehrte.
    Alaïs blickte auf ihre Arme, die mit kleinen, leuchtend roten Stichen übersät waren. Sie untersuchte auch die Kratzer und Risse an den Beinen. Abgesehen von den Insektenstichen hatte sie Ringe aus getrocknetem Blut um die Fußknöchel. Sie hob die Hände dicht vors Gesicht. Die Fingerknöchel waren blutunterlaufen und aufgeschürft. Rostrote Streifen zwischen den Fingern.
    Eine Erinnerung. Wie sie an den Füßen über den Boden geschleift wurde.
    Nein, noch davor.
    Der Weg durch den Hof. Lichter in den oberen Fenstern.
    Angst kribbelte ihr im Nacken. Schritte im Dunkeln, die schwielige Hand auf ihrem Mund, dann der Schlag.
    Perilhds. Gefahr.
    Sie hob die Hand an den Kopf und zuckte zusammen, als ihre Finger die klebrige Masse aus Blut und Haaren hinter dem Ohr berührten. Sie schloss fest die Augen, versuchte die Erinnerung an die Hände auszublenden, die wie Ratten über sie hinwegkrochen. Zwei Männer. Ein alltäglicher Geruch, nach Pferden, Bier und Stroh.
    Hatten sie den merel gefunden?
    Alaïs wollte aufstehen. Sie musste ihrem Vater erzählen, was geschehen war. Er wollte nach Montpellier, das wusste sie noch. Sie musste ihn vorher sprechen. Sie versuchte sich aufzurichten, doch ihre Beine trugen sie nicht. Wieder drehte sich alles, und sie fiel, fiel, glitt zurück in einen schwerelosen Schlaf. Sie wollte dagegen ankämpfen und bei Bewusstsein bleiben, doch vergeblich. Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft waren jetzt nur Teil einer unendlichen Zeit, die sich weiß vor ihr erstreckte. Farbe und Klang und Licht verloren jede Bedeutung.

Kapitel 18
     
    M it einem letzten, unschlüssigen Blick über die Schulter ritt Bertrand Pelletier a n der Seite von Vicomte Trenca vel aus dem Osttor hinaus. Er begriff nicht, wieso Alaïs nicht gekommen war, um sie zu verabschieden.
    Pelletier ritt schweigend und in Gedanken verloren dahin, bekam wenig mit von dem belanglosen Geplauder um sich herum. Er machte sich Sorgen, weil sie nicht im Cour d'Honneur gewesen war, um ihnen gute Wünsche mit auf den Weg zu geben. Überrascht und auch enttäuscht, wie er sich eingestehen musste. Jetzt wünschte er, er hätte François losgeschickt, sie zu wecken. Trotz der frühen Stunde waren die Straßen von winkenden und jubelnden Menschen gesäumt. Man hatte nur die besten Pferde genommen. Zelter, auf deren Zähigkeit und Kraft stets Verlass war, und auch Wallache und Stuten aus den Ställen des Château Comtal, weil sie schnell und ausdauernd waren. Raymond-Roger

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