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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Pause. Sie hörte rasches Getuschel im Hintergrund. Dann kam Madame Annaud ans Telefon und erklärte, dass unten am Empfang jemand auf Alice wartete.
    »Une femme?«, fragte sie hoffnungsvoll.
    Alice hatte für Shelagh eine Nachricht im Ausgrabungshaus hinterlassen und ihr mehrfach auf die Mailbox gesprochen, aber bisher noch nichts von ihr gehört.
    »Non, c'est un homme«, erwiderte Madame Annaud.
    »Okay«, seufzte sie enttäuscht. »J'arrive. Deux minutes.«
    Sie fuhr sich mit einem Kamm durch das noch feuchte Haar, zog dann einen Rock und ein T-Shirt über, schob die Füße in ein Paar Espadrilles und ging nach unten. Sie war gespannt, wer sie sprechen wollte.
    Das eigentliche Ausgrabungsteam hatte sich in einer kleinen au- berge nicht weit von der Ausgrabungsstätte einquartiert. Von allen, mit denen sie in den paar Tagen etwas näher in Kontakt gekommen war, hatte sie sich bereits verabschiedet. Ansonsten wusste keiner, dass sie hier wohnte. Seit ihrer Trennung von Oliver gab es ohnehin niemanden, dem sie es hätte erzählen können.
    Der Empfangsbereich war menschenleer. Sie spähte in das Halbdunkel und erwartete, Madame Annaud dort hinter der hohen Holztheke sitzen zu sehen, aber sie war nicht da. Alice warf einen Blick in die Besucherecke. Doch es saß weder jemand auf den alten, etwas verstaubten Korbsesseln noch auf den beiden großen Ledersofas, die im rechten Winkel vor dem Kamin standen, den Pferdeplaketten und Souvenirs von ehemaligen Gästen schmückten. Ein schiefes Postkartenrondell mit eselsohrigen Ansichten von allem, was Foix und die Ariege zu bieten hatten, rührte sich nicht.
    Alice ging zurück zur Empfangstheke und schlug auf die Klingel. Der Perlenvorhang im Türdurchgang klimperte, als Monsieur Annaud aus den Privaträumen der Familie erschien.
    »Il y a quelqu'un pour moi?«
    »La«, sagte er, beugte sich über die Theke.
    Alice schüttelte den Kopf. »Personne.«
    Er kam hinter der Theke hervor, sah selbst nach und zuckte dann überrascht mit den Schultern. »Dehors?« Draußen? Er ahmte einen rauchenden Mann nach.
    Das Hotel lag in einer kleinen Seitengasse, die von der Hauptverkehrsstraße - gesäumt von Verwaltungsgebäuden, Fast-Food- Restaurants und dem auffallenden Art-deco-Postamt aus den Dreißigerjahren - ins malerischere mittelalterliche Zentrum von Foix mit seinen Cafés und Antiquitätengeschäften führte.
    Alice schaute nach links und rechts, doch es schien niemand auf sie zu warten. Um diese Tageszeit waren alle Läden geschlossen, und das Sträßchen war so gut wie leer.
    Verwundert wollte sie wieder hineingehen, als ein Mann aus einem Türeingang trat. Er war Anfang zwanzig und trug einen hellen Sommeranzug, der ihm ein wenig zu groß war. Sein volles schwarzes Haar war adrett kurz geschnitten, und seine Augen verbargen sich hinter einer dunklen Brille. Er hielt eine Zigarette in der Hand.
    »Dr. Tanner. «
    »Oui«, sagte sie vorsichtig. »Vous me cherchez ?«
    Er griff in seine Brusttasche. »Pour vous. Tenez«, sagte er und hielt ihr einen Umschlag hin. Er blickte die ganze Zeit hektisch hin und her, fürchtete offensichtlich, von jemandem gesehen zu werden. Plötzlich erkannte Alice in ihm den jungen uniformierten Beamten wieder, der Inspektor Noubel begleitet hatte.
    »Je vous ai déjà rencontré, non? Au Pic de Soularac.«
    Er wechselte die Sprache. »Bitte«, sagte er drängend. »Nehmen Sie das.«
    »Vous êtes avec Inspecteur Noubel?«, hakte sie nach.
    Winzige Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Er überrumpelte Alice, indem er ihre Hand packte und den Umschlag hineinschob.
    »He!«, wehrte sie sich. »Was ist das?«
    Aber er war schon in einem der vielen Gässchen verschwunden, die zur Burg hinaufführten.
    Einen Moment lang starrte Alice die leere Stelle auf der Straße an und überlegte halbherzig, ob sie ihm folgen sollte. Dann entschied sie sich dagegen. Die Wahrheit war, er hatte ihr Angst eingejagt. Sie beäugte den Brief in ihrer Hand, als wäre er eine Bombe, die jeden Moment hochgeht, dann atmete sie tief durch und schob den Finger unter die Lasche. In dem Umschlag war ein
    Blatt billiges Schreibpapier, auf dem in kindlichen Großbuchstaben APPELEZ stand. Darunter war eine Telefonnummer: 02 68 72 31 26.
    Alice runzelte die Stirn. Es war keine hiesige Nummer. Die Vorwahl für die Ariége war 05.
    Sie drehte das Blatt um, aber die Rückseite war leer. Sie wollte den Zettel in den nächsten Abfalleimer werfen, überlegte es sich jedoch anders.

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