Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
die Fersen und trabte aus dem Blickfeld.
»Alte Männer und Kinder in den Schützengräben, und jetzt Kavallerie mit Speeren auf Zugpferden. Geben diese armen Schweine nie auf?«
Immer noch lachend, gab er den Feldstecher zurück.
»Er sieht vielleicht komisch aus, Major, aber die Lage könnte sich als ernst erweisen.«
»Wie das?«
»Diese niedrigen Hügel dort. Wer immer das war, den Sie gerade ausgelacht haben, er könnte jetzt unterwegs sein und Hilfe holen. Falls die auch nur eine einzelne Artillerieabteilung haben, brauchen sie sie nur dort oben aufzufahren und uns so lange zu beschießen, bis wir uns ergeben.«
O’Donald wurde still, drehte sich um und blickte das Deck entlang.
»Das Deck liegt zu schräg, um mit meinen Geschützen dagegenzuhalten.«
»Genau«, bestätigte Andrew. »Am besten sorgen wir augenblicklich dafür, dass meine Männer an Land gehen und sich eingraben. Bringen Sie Ihre Leute auf Trab; sie sollen diese napoleonischen Geschütze heraufschaffen. Das Rettungsboot dort müsste reichen, um sie an Land zu bringen.«
Andrew wandte sich Vincent zu.
»Junge, du hilfst mir lieber, den Säbel umzubinden«, sagte er sanft.
»Colonel, Grüße vom Captain, und er möchte, dass Sie an Bord kommen.«
»Verdammt, was ist denn jetzt?« Andrew drehte sich zu dem Boten um und sah, dass es Bullfinch war, der junge Ensign, der ihn ganz zu Anfang an Bord geführt hatte.
»Tut mir Leid, Sir, aber der Kapitän hat mich nicht ins Vertrauen gezogen«, antwortete der Junge geduckt.
»In Ordnung. Nur eine Minute.«
Andrew nahm rasch das Gelände ringsherum in Augenschein. Eins konnte man über die Männer seines Regiments ganz gewiss sagen – sechs Monate Belagerungsarbeit vor Petersburg hatten sie das Graben gelehrt. Ein dreieckiger Außenposten, an der Basis knapp hundert Meter durchmessend, zeichnete sich schon in der dunklen Lehmerde ab. An den beiden landzugewandten Seiten war der Graben bereits mehrere Fuß tief. O’Donalds Männer hatten die erste Geschützstellung fertig, die die Spitze der Linie beherrschte, und wandten sich jetzt den Flanken zu. Ein napoleonischer Zwölfpfünder war inzwischen an Land gefahren und aufgestellt worden. Als Andrew zum Schiff zurückblickte, sah er, dass man die zweite Kanone gerade an der Bordwand herabließ.
Es musste wirklich ein Mordsbrecher gewesen sein, der das Schiff so weit ans Ufer getragen hatte, dachte Andrew, während er den beschädigten Rumpf betrachtete, der in weniger als drei Meter tiefem Wasser lag. Selbst als Nichtseemann war Andrew ein weiteres Kuriosum an dem Ort aufgefallen, an dem sie gestrandet waren: es gab keine Gezeiten.
Und da war noch die Frage der Sonne. Seine Uhr war nutzlos, seitdem der Sturm sie dermaßen in Wasser getaucht hatte, aber irgendwie hatte der Tag verdammt kurz gewirkt. Außerdem verlief die Küste, nach dem Schiffskompass zu urteilen, von Ost nach West, und er konnte sich an keine entsprechende Küstenstrecke südlich von New York erinnern.
»Die Jungs sollen weiterarbeiten, Hans!«, rief er. Dann watete er, dem Ensign folgend, in den fast tropisch warmen Ozean und ließ sich von zwei Seeleuten in die Schiffsbarkasse helfen. Sekunden später gingen sie längsseits der Ogunquit, und mit Hilfe einer Schlaufe wurde Andrew wieder an Deck gezogen.
Tobias’ Gesicht verriet Besorgnis, etwas, was Andrew tatsächlich erfreulich fand.
»Was ist los, Captain?«, fragte er kühl.
»Colonel, können Sie in die Takelage steigen?« Bei diesen Worten deutete Tobias zu den Fetzen am Hauptmast hinauf, die zehn Meter über dem Deck immer noch am zertrümmerten Großmars hingen.
»Gehen Sie voraus.«
Das war etwas, worüber sich Andrew früher nie den Kopf zerbrochen hätte, aber seit dem Verlust des Arms fand er es doch etwas Furcht erregend – obwohl er das vor Tobias nie eingestanden hätte.
Tobias kletterte voraus, fast als wollte er Andrew verspotten. Jeder Gedanke an eine Kränkung starb jedoch, als Andrew schließlich die Plattform erreichte.
»Einer meiner Männer hat das erste Kontingent entdeckt. Ich dachte, Sie sollten sich das einmal ansehen.«
Andrew tastete nach dem Feldstecher und blickte zum Horizont.
Durch eine Lücke zwischen den Hügeln hatte es den Anschein, dass ein Ozean aus Menschen heranströmte.
»Es müssen Tausende sein«, flüsterte Tobias.
Angeführt wurde die Kolonne von einem Kontingent aus mehreren Hundert Reitern; was hinter den Reitern kam, schien eine undisziplinierte Horde zu
Weitere Kostenlose Bücher