Das Verlorene Symbol
Blut, schrecklich viel Blut, überall auf ihr. Seltsamerweise spürte sie keinen Schmerz.
Verzweifelt suchte Isabel den Körper ihrer Tochter nach einer Wunde ab. »Wo tut es weh?«
»Ich weiß nicht, Mom … Ich spüre nichts …«
Plötzlich sah Katherine, woher das viele Blut kam. »Mom!« Sie deutete auf die weiße Seidenbluse ihrer Mutter, die sich rot gefärbt hatte. Das Blut floss in Strömen über Isabels Körper. Die alte Dame senkte den Blick. Sie sah mehr verwirrt als erschrocken aus. Mit einem Mal zuckte sie zusammen und sank zurück, als hätte der Schmerz unvermittelt zugeschlagen.
»Katherine …« Ihre Stimme klang ruhig, aber nun waren ihr die fünfundsiebzig Jahre anzuhören. »Du musst … einen Rettungswagen rufen.«
Katherine rannte zum Telefon im Flur und rief Hilfe herbei. Als sie ins Musikzimmer zurückkehrte, lag ihre Mutter in einer Lache aus ihrem eigenen Blut. Katherine eilte zu ihr, kauerte sich neben sie und legte die Arme um den schlaffen Körper.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als in der Ferne ein Schuss peitschte. Irgendwann flog die Tür des Musikzimmers auf, und Peter stürmte herein, keuchend und verschwitzt, mit wirrem Blick, noch immer die Waffe in der Hand. Als er die weinende Katherine und seine blutüberströmte Mutter sah, legte sich ein Ausdruck unendlicher Qual auf sein Gesicht. Den Schrei, den er ausstieß, vergaß Katherine ihr Leben lang nicht.
KAPITEL 52
Mal'akh spürte das Spiel der Muskeln unter der tätowierten Haut auf seinem Rücken, während er um das Gebäude herum zum offenen Tor von Magazin 5 rannte.
Ich muss in ihr Labor.
Mit Katherines Flucht hatte Mal'akh nicht gerechnet. Das konnte ein Problem werden. Katherine wusste, wo er wohnte, und sie kannte seine wahre Identität. Außerdem wusste sie, dass niemand anders als er vor zehn Jahren in ihr Haus eingebrochen war.
Auch Mal'akh hatte diesen Abend nicht vergessen. Die Pyramide war zum Greifen nahe gewesen. Dann aber hatte das Schicksal ihm Steine in den Weg gelegt. Damals war ich noch nicht bereit.
Aber jetzt war er es. Er war stärker, mächtiger, einflussreicher. Wissender. Bei der Vorbereitung auf seine Rückkehr hatte er unvorstellbare Entbehrungen auf sich genommen. Und nun endlich, in dieser Nacht, würde seine Bestimmung sich erfüllen. Er hatte keinen Zweifel: Ehe der Abend vorüber war, würde er in die erlöschenden Augen Katherine Solomons blicken.
Als Mal'akh das Tor erreichte, versicherte er sich noch einmal, dass Katherine nicht die Flucht gelungen war, sondern dass sie das Unausweichliche nur aufgeschoben hatte. Er schlüpfte durch die Öffnung und schritt selbstsicher durch die Dunkelheit, bis seine Füße den Teppich ertasteten. Er wandte sich nach rechts und hielt auf den Würfel zu. Die dröhnenden Schläge gegen die Tür von Magazin 5 waren verstummt. Mal'akh vermutete, dass der Wachmann sich nun damit beschäftigte, die Münze zu entfernen, die Mal'akh in den Kartenleseschlitz geschoben hatte, um das Gerät unbrauchbar zu machen.
Als Mal'akh die Tür zum Würfel erreichte, ertastete er das äußere Zahlenfeld und schob Trishs Schlüsselkarte in den Schlitz. Die Tasten leuchteten auf. Er gab Trishs Geheimnummer ein. Nun konnte er den Würfel betreten. Die Lampen waren eingeschaltet. Als er in den sterilen Raum trat, kniff er beim Anblick des eindrucksvollen Geräteparks die Augen zusammen. Die Macht der Technik war Mal'akh nichts Fremdes: Im Keller seines Hauses praktizierte er seine eigene Art von Wissenschaft. Und in der vergangenen Nacht hatte diese Wissenschaft Früchte getragen.
Die Wahrheit.
Peter Solomons Gefangenschaft im Fegefeuer hatte sämtliche Geheimnisse dieses Mannes offenbart. Ich kann seine Seele sehen. Mal'akh hatte Dinge erfahren, von denen er nichts geahnt hatte, darunter von Katherines Labor und ihren atemberaubenden und zugleich schockierenden Entdeckungen. Die Wissenschaft wird immer mächtiger, hatte Mal'akh erkannt, doch ich werde nicht zulassen, dass sie den Unwürdigen den Weg erhellt.
Katherines Arbeit beantwortete alte philosophische Fragen mit moderner Naturwissenschaft. Erhört jemand unsere Gebete? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Haben Menschen Seelen? Es war unglaublich, aber Katherine hatte alle diese Fragen tatsächlich beantwortet – und noch andere mehr. Naturwissenschaftlich. Abschließend. Die Methoden, die sie benutzte, waren unwiderlegbar. Mit den Ergebnissen ihrer Experimente würde sie selbst die größten
Weitere Kostenlose Bücher