Das Verlorene Symbol
Boas und Jachin – die Säulen der Weisheit. Seine Hüften und sein Unterleib waren der Torbogen zu mythischer Macht. Das riesige Geschlechtsorgan unter dem Bogen trug die tätowierten Symbole seiner Bestimmung. In einem anderen Leben war der gewaltige fleischerne Schaft ein Quell sinnlicher Lust gewesen. Aber das war Vergangenheit.
Ich bin gereinigt.
Wie einst die Eunuchenmönche der Katharer hatte Mal'akh seine Testikel entfernt. Er hatte seine physische Potenz geopfert und gegen etwas Würdigeres, Weihevolleres eingetauscht. Götter haben kein Geschlecht. Nachdem er diese menschliche Unvollkommenheit zusammen mit dem irdischen Trieb sexueller Verlockung abgelegt hatte, war Mal'akh wie Ouranos geworden, wie Attis, Sporns und die Kastratenmagier der Artus-Legende. Jeder spirituellen Metamorphose geht eine physische voran. Das war die Lektion, die alle großen Götter lehrten … angefangen bei Osiris über Tammus, Jesus und Shiva bis hin zu Buddha.
Ich muss den Menschen abstreifen, der mich umhüllt.
Abrupt richtete Mal'akh den Blick nach oben, vorbei an dem doppelköpfigen Phönix auf der Brust, der Collage alter Siegel auf dem Gesicht hin zum kahlen Schädeldach. Er neigte den Kopf nach vorn in Richtung des Spiegels, um die kleine, kreisförmige Stelle nackter Haut zu betrachten, die dort wartete. Diese Stelle war heilig. Es war die Fontanelle, jener Bereich des menschlichen Schädels, der bei der Geburt offen war. Ein Oculus zum Hirn. Auch wenn dieses Portal sich innerhalb der ersten Lebensmonate schloss, blieb es ein symbolisches Rudiment, eine Erinnerung an die verlorene Verbindung zwischen der äußeren und der inneren Welt.
Mal'akh studierte den heiligen Fleck jungfräulicher Haut, umschlossen vom Bild einer Schlange, die sich selbst in den Schwanz biss, einem Ouroboros . Der kahle Fleck schien ihn anzustarren … voll strahlender Verheißung.
Bald schon würde Robert Langdon den großen Schatz entdecken, den Mal'akh suchte. Sobald er in Mal'akhs Besitz übergegangen war, würde er die kahle Stelle auf seinem Schädeldach füllen. Dann erst war er bereit für die letzte, finale Transformation.
Mal'akh tappte durchs Schlafzimmer und nahm einen Lendenschurz aus weißer Seide aus der untersten Schublade seiner Kommode. Wie schon so viele Male zuvor wickelte er sich den Schurz um die Hüften und das Geschlecht.
Dann ging er nach unten.
Der Computer in seinem Büro zeigte eine eingegangene E-Mail an.
Sie stammte von seinem Kontakt.
Was Sie suchen, ist nun in greifbarer Nähe.
Ich melde mich bald bei Ihnen. Noch ein KLEIN wenig Geduld.
Mal'akh lächelte. Die Zeit für die letzten Vorbereitungen war gekommen.
KAPITEL 72
Der CIA-Agent kam übel gelaunt die Treppe zur Galerie des Lesesaals hinunter. Bellamy hat uns angelogen. Der Agent hatte in der Umgebung der Moses-Statue keinerlei Hitzesignaturen entdecken können. Genau genommen hatte er im gesamten oberen Bereich keine Spuren gefunden.
Wohin ist Langdon verschwunden?
Der Agent kehrte zurück zu der einzigen Stelle, wo er Hitzespuren entdeckt hatte – zur Ausleihe der Bibliothek. Er stieg die Treppe hinunter und begab sich unter die oktogonale Konsole, wo der Lärm der rumpelnden Transportbänder an den Nerven zerrte. Er klappte sein Infrarotsichtgerät vor die Augen und suchte den Raum ab. Nichts. Er sah zu der Stelle, wo die zerfetzte Tür immer noch heiß von der Explosion leuchtete. Ansonsten war keine …
Heiliger Strohsack.
Der Agent zuckte zurück, als eine unerwartete Lumineszenz in sein Blickfeld schwebte. Wie Geister waren die deutlich leuchtenden Abdrücke zweier menschlicher Umrisse auf einem Transportband hinter der Wand hervorgekommen. Hitzesignaturen.
Sie sind auf dem Transportband nach draußen gefahren? Das ist ja Wahnsinn!
Abgesehen von der Erkenntnis, dass Langdon ihm durch ein Loch in der Wand entwischt war, wurde dem Agenten bewusst, dass er ein weiteres Problem hatte. Langdon ist nicht allein!
Er wollte gerade über Funk den Einsatzleiter informieren, doch der war schneller.
»An alle, wir haben einen Volvo auf der Plaza vor der Bibliothek entdeckt, registriert auf eine Katherine Solomon. Augenzeugen haben gesehen, wie sie vor nicht allzu langer Zeit in die Bibliothek gegangen ist. Wir nehmen an, sie ist bei Langdon. Direktor Sato hat befohlen, die beiden zu suchen und unverzüglich zu ihr zu bringen!«
»Ich habe Hitzesignaturen der beiden gefunden!«, rief der Agent in das Mikro. Er erklärte seinem
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