Das Vermächtnis
Eiswaffen. Du bist der Erste und Einzige, der auf dieser Welt Eisen schmieden kann. Es wird lange dauern, bis sich diese Fertigkeit verbreitet. Und du mit deiner Begabung wirst noch ganz andere Dinge erfinden als Kampfkrallen. Alle möglichen Werkzeuge und sonstige nützliche Gegenstände.“
Er schaute mich an, als wollte er sagen: Red du nur, alter Narr! Es gab mir einen schmerzlichen Stich im Magen.
Siv musterte den Fürsten, der vor ihr stand. Kein Wunder, dass sie ihn schon von Weitem gehört hatte. Die weichen Fransen an seinen Federn, die bei Eulen die Fluggeräusche dämpfen, waren verschwunden. Die Spitzen seiner Flugfedern waren struppig und für eine Schnee-Eule ungewöhnlich dunkel.
Er verwandelt sich in einen Hägsdämon! Aber noch ist die Verwandlung nicht vollständig, sonst hätte er sich nicht in die Nähe des Wassers gewagt. Sivs Magen erschauerte.
Sie hatte Angst, aber sie beherrschte sich. Ich darf mir vor diesem Scheusal, das sich Eule schimpft, nichts anmerken lassen!
Am Himmel über dem Eisberg hing eine dunkle Wolke. Darin verbarg sich bestimmt der verräterische Pliek. Vielleicht auch seine Gefährtin, die Dämonin Ygryk, die so versessen auf Sivs Ei war.
Svenka war nicht mehr zu sehen. Siv wusste aber, dass sie ganz in der Nähe war und alles mitanhörte. Die Bärin hätte Arrin mit einem einzigen Tatzenhieb den Garaus machen können – aber womöglich hätte Pliek dann seine Dämonensöldner herbeigerufen.
Siv musste wohl oder übel den Schein wahren und sich Arrins falsche Höflichkeiten anhören.
„Und Ihr fliegt auch schon wieder kurze Strecken! Das ist erstaunlich.“
„Ja, meine Wunden sind rasch verheilt. Ich hatte großes Glück“, gab Siv zurück.
„Und Eure Eltern sind auch wohlauf, hoffe ich?“
Siv erwiderte nichts. Der Fürst sah sie auffordernd an. Aber Siv hatte plötzlich keine Lust mehr, sich zu verstellen.
„Ihr seid doch bestimmt nicht gekommen, um Euch nach meinen Eltern zu erkundigen, Fürst. Heraus mit der Sprache. Was führt Euch her?“
„Ausschließlich die Sorge um Eure Gesundheit. Und natürlich wollte ich auch hören, ob mit Eurem Ei alles in Ordnung ist.“
Aha! , dachte Siv. Endlich kommt er zur Sache. Ich muss ihm weismachen, dass ich das Ei noch bei mir habe. Sonst wird er sämtliche Hägsdämonen in N’yrthgar ausschwärmen und danach suchen lassen.
Ich war nämlich nicht der Einzige, lieber Eulenleser, der begriffen hatte, dass das Küken im Ei ein besonderes Küken war. Auch den Dämonen war das inzwischen klar.
„Wird das Kleine denn bald schlüpfen?“, fragte der Fürst.
Was für ein eitler Bursche! Steht mit herausgedrückter Brust da und putzt sich, während er mit mir spricht. Und dieser überhebliche Tonfall …
„Alles zu seiner Zeit, Fürst. So ein Küken schlüpft bekanntlich, wann es will“, erwiderte Siv nachsichtig, als müsste sie einem kleinen Kind etwas erklären.
„ Tut sich denn noch gar nichts?“
„Weshalb seid Ihr so ungeduldig?“, fragte Siv zurück.
„Ich mache mir nur Gedanken, wie ihr das kleine Ding so ganz allein großziehen wollt, Herrin.“
Vielen Dank auch! Wer ist denn hier schuld am Tod meines Gatten! , dachte Siv bitter.
„So ein Küken hat immerzu Hunger. Wenn Ihr auf die Jagd fliegt, müsst Ihr es ohne Aufsicht lassen.“
„Das lasst meine Sorge sein. Mir wird schon etwas einfallen.“
„Ich wollte Euch nur meine Unterstützung anbieten, Herrin. Um Eurer Sicherheit und der des Kükens willen.“
Nun reichte es Siv. „Erst lasst Ihr meinen Gemahl ermorden und jetzt bietet Ihr mir eure Hilfe an? Ihr wollt Euch wohl über mich lustig machen!“
„Da muss ich Euch widersprechen, Herrin. In der Schlacht gibt es keinen Mord.“
„Es war kaltblütiger Mord, das wisst Ihr so gut wie ich!“
„Ihr braucht Hilfe, Herrin. Allein könnt Ihr das alles nicht schaffen.“
Siv würdigte den Fürsten keines Wortes mehr. Sie ließ ihn stehen und verschwand in dem Gang, der zu ihrer Eishöhle führte.
Als sie die Höhle nach mehreren Stunden wieder verließ, war Svenka immer noch nicht zurückgekehrt. Doch auf dem Rand des Eisbergs lag ein Häufchen frisch gefangener Heringe.
Wahrscheinlich ist es so weit und sie bekommt ihre Jungen. Sie hat ja schon angekündigt, dass sie dann ein paar Tage fortbleibt , dachte Siv.
Die Eisbärin hatte ihr versprochen, in diesem Fall einen Fischvorrat dazulassen, damit Siv nicht hungern musste. Siv sollte die Fische während der kurzen Tagesstunden
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