Das Vermaechtnis der Drachenreiter
zu weichen.
Er zog die Arme ins Innere seines Wamses und band sich die leeren Ärmel um den Hals. Erst jetzt merkte er, wie hungrig er war. Aber das lenkte ihn nicht von seiner größten Sorge ab. Konnte er noch vor den Fremden den Hof erreichen? Und wenn nicht, was würde dann geschehen? Selbst wenn ich mich noch einmal über-winde, Saphira zu reiten, werden wir frühestens am Nachmittag zurück sein. Dann sind die Kerle längst dort gewesen. Er schloss die Augen und spürte, wie eine einzelne Träne über sein Gesicht kullerte. Was habe ich bloß angerichtet?
DERR FLUCH DER UNSCHULD
Als Eragon am Morgen die Augen aufschlug, glaubte er zuerst, der Himmel sei herabgefallen. Über seinem Kopf wölbte sich eine durchgehende blaue Fläche, die sich bis zum Boden neigte. Noch im Halbschlaf hob er vorsichtig die Hand und seine Fingerspitzen ertasteten eine dünne Membran. Es dauerte eine geschlagene Minute, bis ihm klar wurde, was er da anstarrte. Als er ein wenig den Hals drehte, sah er die schuppige Hüfte, auf der sein Kopf lag. Behutsam löste er seine zusammengerollte Position und streckte die Beine aus; an einigen Stellen platzte der Schorf auf. Der Schmerz vom Vorabend hatte nachgelassen, aber der Gedanke ans Laufen ließ ihn zusammenzucken. Ein bohrender Hunger erinnerte ihn an die versäumten Mahlzeiten. Er nahm all seine Kraft zusammen und klopfte leicht gegen Saphiras Flanke. »He! Wach auf!«, rief er.
Sie regte sich ein wenig und hob den Flügel, worauf ihm grelles Sonnenlicht entgegenschlug. Er blinzelte, als der gleißend helle Schnee ihn einen Moment lang blind machte. Neben ihm streckte sich Saphira wie eine Katze und gähnte, wobei sie zwei Reihen weißer Zähne entblößte. Als sich Eragons Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, warf er einen prüfenden Blick auf ihre Umgebung. Ehrfurcht gebietende Berge, deren Anblick ihm fremd erschien, umgaben sie und warfen lange Schatten auf die Lichtung. Auf einer Seite entdeckte er einen Pfad, der durch den Schnee in den Wald hineinführte, von wo das gedämpfte Rauschen eines Baches an sein Ohr drang.
Stöhnend stand er auf, taumelte und hüpfte steifbeinig zu einem nahen Baum. Er packte einen der Äste und drückte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Zuerst hielt der Ast, aber dann brach er mit lautem Knacken. Eragon riss die Zweige ab, klemmte sich das eine Ende unter die Achselhöhle und stellte das andere auf den Boden. Mithilfe dieser behelfsmäßigen Krücke humpelte er zu dem Bach. Er durchbrach die vereiste Oberfläche und schöpfte mit der hohlen Hand das klare, eiskalte Wasser. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, kehrte er zu Saphira zurück. Als er zwischen den Bäumen hervortrat, erkannte er schließlich die Berge und die Lichtung wieder und merkte, wo sie sich befanden.
Dies war der Ort, wo unter ohrenbetäubendem Getöse Saphiras Ei aufgetaucht war. Er sackte gegen einen Baumstamm. Ein Irrtum war ausgeschlossen, denn jetzt bemerkte er auch die grauen Bäume, die bei der Explosion ihre Nadeln verloren hatten. Woher wusste Saphira von diesem Ort? Sie hat doch damals noch in ihrem Ei gelegen. Meine Erinnerungen müssen ihr die Richtung gewiesen haben. Er schüttelte den Kopf in stummem Erstaunen.
Saphira wartete geduldig auf ihn. Wirst du mich nach Hause bringen?, fragte er sie. Sie legte den Kopf schräg. Ich weiß, dass du nicht zurückmöchtest, aber du musst. Wir beide sind Garrow verpflichtet. Er hat sich immer um mich gekümmert und durch mich auch um dich. Kannst du diese Schuld ignorieren? Was wird man in den folgenden Jahren über uns sagen, wenn wir nicht zurückkehren - dass wir uns wie Feiglinge versteckt haben, während mein Onkel in Gefahr war? Ich höre sie schon jetzt, die Geschichten über den Reiter und seinen feigen Drachen! Falls es einen Kampf geben sollte, dann stell dich ihm und kneif nicht den Schwanz ein. Du bist ein Drache! Selbst ein Schatten würde vor dir fliehen! Und doch versteckst du dich wie ein verängstigtes Karnickel in den Bergen!
Eragon wollte sie wütend machen und das gelang ihm. Ein Knurren rumorte in ihrer Kehle, als sie den Kopf bis auf wenige Zoll vor sein Gesicht schob. Sie bleckte die Zähne und funkelte ihn an und Rauch stieg aus ihren Nasenlöchern auf. Als er ihre zornigen Gedanken auffing, hoffte er, dass er nicht zu weit gegangen war. Blut wird mit Blut vergolten werden. Ich werde kämpfen. Unsere Schicksale binden uns aneinander, aber treibe es nicht zu weit. Ich werde
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