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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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habe.«
    Ich richtete mich auf. Ich hatte mich wieder gefangen.
    »Schau, Éva«, sagte ich und war jetzt auch ruhig. »Dein Vater ist ein sehr interessanter, sehr begabter Mensch. Aber all diese Dinge, über die wir jetzt sprechen, haben sich in seinem Gedächtnis vielleicht ein bißchen verwischt. Du mußt wissen, daß dein Vater leicht vergißt. Denke ja nicht, ich wolle ihn schlechtmachen. Er kann nichts dafür. Es ist sein Naturell …«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Vater erinnert sich nicht an die Wirklichkeit. Er ist ein Dichter.«
    »Ja«, sagte ich erleichtert. »Mag sein, daß er ein Dichter ist. Die Wirklichkeit verwischt sich in seiner Vorstellung. Deshalb darf man nicht alles glauben, was er sagt … Er erinnert sich nicht richtig. Die Zeit, von der du sprichst, war die schwerste meines Lebens, manchmal fast unerträglich schmerzvoll und verworren. Du sprichst von Rache! Was ist das für ein Wort? Wer hat es dir beigebracht? Gar nichts weißt du! Alles, was dein Vater von jener Zeit erzählen mag, ist Schall und Rauch. Ich hingegen erinnere mich an die Wirklichkeit. Und die sah anders aus. Ich schulde niemandem Rechenschaft.«
    »Aber ich habe die Briefe gelesen«, sagte sie sachlich.
    Jetzt war ich es, die verstummte. Wir schauten einander an.
    »Was für Briefe?« fragte ich entsetzt.
    »Die Briefe, Eszter«, wiederholte sie lebhafter. »Vaters Briefe, alle drei, die er dir damals geschrieben hat. Du weißt ja, als er zu euch ins Haus kam, als er nur dich im Kopf hatte, als er dich anflehte, alles stehenzulassen und mit ihm davonzulaufen, weil er es sonst nicht mehr aushalte, mit sich selbst nicht, mit seinem eigenen Charakter nicht, und mit Vilma nicht, die stärker ist als er und die dich haßt, Eszter … denn Mutter hat dich gehaßt … Warum? Weil du jünger warst? Oder schöner, natürlicher? Darauf könntest nur du antworten.«
    »Was redest du, Éva?« rief ich und schüttelte sie am Arm. »Was für Briefe? Was phantasierst du da?«
    Sie machte ihren Arm los, strich sich mit ihrer feinen Kinderhand über die Stirn und blickte mich groß an: »Warum lügst du?« fragte sie kalt und hart.
    »Ich habe noch nie gelogen«, sagte ich.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe die Briefe gelesen«, sagte sie und verschränkte die Arme wie ein Untersuchungsrichter. »Sie lagen die ganze Zeit im Schrank, in Mutters Wäscheschrank, wo du sie versteckt hast … Du weißt ja, in der Rosenholzschachtel … Vor drei Jahren etwa habe ich sie gefunden.«
    Ich fühlte, wie ich erbleichte, wie mein Kopf blutleer wurde.
    »Sag mir alles«, bat ich sie dann. »Denke, was du willst, denke, daß ich lüge. Aber erzähle mir alles von den Briefen.«
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte sie jetzt lebhaft und erstaunt. »Ich rede von den drei Briefen, die Vater dir geschrieben hat, als er mit Mutter verlobt war, und in denen er dich anfleht, ihn aus dieser emotionalen Gefangenschaft zu befreien, weil er nur dich liebt. Der letzte Brief stammt vom Vorabend seiner Hochzeit. Ich habe die Daten verglichen. In diesem Brief schreibt er, daß er mit dir nicht von Angesicht zu Angesicht sprechen kann, weil er zu schwach ist, weil er sich wegen Mutter schämt. Ich glaube, Vater hat nie einen ehrlicheren Brief geschrieben. Er schreibt, er sei ein Verletzter und Gescheiterter, und er vertraue nur dir, nur du könntest ihm das Selbstvertrauen und das Gleichgewicht zurückgeben. Er bittet dich, mit ihm wegzugehen, dich um nichts zu kümmern, ihr würdet ins Ausland reisen, und er lege sein Schicksal in deine Hände. Ein verzweifelter Brief. Es kann doch nicht sein, Eszter, daß du dich nicht an ihn erinnerst. Nicht wahr, Eszter? Aus irgendeinem Grund willst du mit mir nicht von diesen Briefen sprechen … Vielleicht tut es dir weh, wegen Mutter, oder du schämst dich vor mir. Ich habe aber alles verstanden, als ich diese Briefe las, und seit einigen Jahren sehe ich Vater mit ganz anderen Augen. Es reicht schon, wenn jemand einmal im Leben stark und gut sein will. Es ist nicht seine Schuld, daß es nicht gelungen ist. Warum hast du nicht geantwortet?«
    »Was hätte ich antworten sollen?« fragte ich so gleichmütig und sachlich, als hätte ich von den Briefen tatsächlich gewußt und würde meine Lüge gestehen.
    »Antworten? … Ach Gott. Jedenfalls hätte es eine Antwort gebraucht. Auf solche Briefe antwortet man. Solche Briefe bekommt man nur einmal im Leben. Er hat geschrieben, er warte bis zum Morgen auf deine Antwort. Wenn sie

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