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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Photographie wieder an ihren Platz.
    »Was genau wollt ihr von mir?« fragte ich und lehnte mich an die Kommode.

15

    »Schau, Eszter«, sagte Éva jetzt ein bißchen verlegen und zündete wieder eine Zigarette an. »Vater wird es dir sagen. Ich glaube, er hat recht. Wie du dir wohl denken kannst, ist einiges vorgefallen, seit du uns verlassen hast. Es ist einiges vorgefallen, und nicht immer nur Angenehmes. An die erste Zeit erinnere ich mich nicht. Dann sind wir in die Schule gekommen, und es begann ein bewegtes Leben. Jedes Jahr wechselten wir die Wohnung, die Schule, die Kinderfrauen. Diese Kinderfrauen … Ach, Gott … Du kannst dir wohl denken, daß Vater nicht sehr wählerisch war. Die meisten sind davongelaufen, unter Mitnahme einiger Einrichtungsgegenstände, oder wir liefen ihnen davon und ließen Mietwohnung, Möbel, unser Zuhause zurück. Eine Zeitlang, da war ich ungefähr zwölf, schlugen wir unser Lager in Hotelzimmern auf. Das war ein hochinteressantes Leben. Der Zimmerkellner half uns beim Anziehen, der Liftboy bei den Schulaufgaben, Vater war manchmal tagelang abwesend, und die Zimmermädchen paßten auf uns auf und übernahmen unsere Erziehung. Manchmal aßen wir im Hotelzimmer tagelang Hummer, manchmal aßen wir tagelang kaum etwas. Vater mag Hummer sehr. So sind wir aufgewachsen. Anderen Kindern gibt man Sauermilch oder Vitamine … Aber meistens hatten wir es doch lustig. Später, als es Vater besserging und wir ins bürgerliche Leben zurückkehrten, eine Wohnung hatten, einen Haushalt führten und Vater irgendeine Unternehmung angefangen hatte – ich zitterte schon als Kind vor Vaters Unternehmungen –, da wünschten wir manchmal das Hotelleben zurück, denn auch im sogenannten bürgerlichen Dasein lebten wir wie Nomaden in der Wüste. Weißt du, Vater ist kein Stadtmensch. Widersprich mir nicht, ich kenne ihn wahrscheinlich besser. Er hat überhaupt keine Beziehung zu Gegenständen, manchmal denke ich, es ist ihm sogar gleich, ob er am Abend ein Dach über dem Kopf hat. Er hat etwas vom Jäger und Sammler: Morgens setzt er sich auf sein Pferd – einen Wagen hatte er immer, auch in den schlechtesten Zeiten, und meistens fuhr er ihn selbst – und zieht los in der besonderen Wüste oder in dem besonderen Wald, wie es für ihn die Stadt ist, er nimmt Witterung auf, legt sich auf die Lauer, erlegt einen Hunderter, bringt ihn nach Hause, brät ihn und gibt jedem einen Bissen davon. Und dann interessiert ihn während mehrerer Tage oder Wochen, solange eben die Beute vorhält, nichts mehr … Im Grunde ist es das, was wir an Vater lieben; auch du liebst das an ihm, Eszter. Vater wirft ein Klavier oder eine gute Stelle weg wie einen alten Handschuh, er kann Gegenstände und Werte nicht ehren. Wir Frauen verstehen das nicht … Ich habe von Vater schon viel gelernt, aber sein wahres Geheimnis, diese Leichtigkeit, diese Ungebundenheit werde ich nie lernen. Nichts vermag ihn festzuhalten, ihn interessiert nur die Gefahr, die besondere Gefahr, das Leben… Gott mag das wissen und verstehen … Diese Gefahr braucht er, dieses Leben unter den Menschen, ein Leben ohne Kompromisse, ja, es ist so, daß er Kompromisse aus Neugier bricht und dann achtlos aufgibt. Hast du das nicht verstanden, als …? Oder, ja, hast du das nicht gespürt? Ich hatte schon als Kind das Gefühl, wir wären Zeltbewohner, Angehörige eines durchziehenden Volksstammes, manchmal auf gefährlichem, manchmal auf freundlichem Gebiet unterwegs, Vater, mit Pfeilbogen und Köcher, geht voran, blickt sich vorsichtig um, eilt zum Telefon, lauscht, lauert auf besondere Zeichen, und wird dann plötzlich ganz lebendig, ganz wach, ganz sprungbereit … Von irgendwoher nähern sich Elefanten der Quelle, und Vater im Unterholz legt den Pfeilbogen an. Lachst du mich aus?«
    »Nein«, sagte ich mit trockener Kehle. »Sprich nur. Ich lache dich nicht aus.«
    »Du weißt ja, die Männer«, sagte sie jetzt altklug mit einem leichten Seufzer. Ich mußte lachen, wurde aber gleich wieder ernst. Ich ahnte, daß Vilmas Tochter, dieses Kind, vor dem ich so leichthin die reife erwachsene Frau gab, etwas von den Männern wußte, jedenfalls mehr und Sichereres wußte als ich, die seine Mutter hätte sein können. Ich schämte mich für mein Lachen.
    »Ja, ja«, sagte sie und blickte mich unschuldig aus großen blauen Augen an. »Die Männer. Es gibt eben Männer, die sich weder durch Familie noch durch Gegenstände oder Güter gebunden fühlen. Einst waren

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