Das Vermächtnis der Eszter
Pfändungsbeamten versehen schienen – damals war in der Wohnung erst die Ahnung eines solchen unsichtbaren Beamten zu spüren, der echte und alltägliche stellte sich erst später ein, in der Hand die Auflistung von Lajos’ Schulden –, wo ich den Haushalt führte und doch nichts wirklich und rechtmäßig zu berühren wagte, wo ich für die Kinder sorgte, aber auf zaghaftere Art als eine fremde Kinderfrau. Alles war feindlich in dieser Wohnung, alles war mit einem Verbot belegt, an allem haftete das geheimnisvolle, ungute Etwas, das den tieferen Sinn von Mein und Dein bestimmt. Hier gehörte mir gar nichts mehr. Vilma hatte alles mitgenommen, was ich gern gehabt hätte, hatte alles verdorben und verboten, wonach ich mich sehnte. Sie herrschte über uns mit der eisernen Macht der Toten. Eine Zeitlang hielt ich stand. Ich wartete auf Lajos, wartete auf ein Wunder.
Von seinen Reisen im Ausland schrieb er selten, und wenn doch, dann meistens Ansichtskarten. Jetzt spielte er schon wieder Komödie, es war ein »großer Augenblick« für ihn, ein schicksalhafter Moment, den man mit großen Gebärden und in vollem Kostüm zu spielen hatte. Das Kostüm war die Trauer, die große Gebärde der Aufenthalt im Ausland. Er war aufgebrochen wie einer, der den Schmerz nicht aushält, der vor den Erinnerungen flieht.
In Wirklichkeit, glaube ich, amüsierte er sich in den fremden Städten bestens; er pflegte Geschäftsbeziehungen, »vergrub sich in der Arbeit«, wie er sagte, das heißt also, daß er hin und wieder tatsächlich ein Museum oder eine Bibliothek aufsuchte, wobei er doch wohl eher in Kaffeehäusern und Restaurants herumsaß und an zärtlichen Beziehungen arbeitete. Er hat eine elastische Seele, dachte ich. Doch in diesen Monaten des Wartens begriff ich, daß man mit ihm nicht leben konnte, daß ihm und seinen Handlungen das Bindemittel fehlte, ohne das man keine zwischenmenschlichen Beziehungen aufbauen kann. Seine Tränen waren zwar echt, aber sie lösten in ihm nichts auf, brachten weder Erinnerungen noch Schmerz an die Oberfläche. Lajos gab sich der Freude oder der Trauer immer völlig hin, aber im Grunde fühlte er nichts. Das hatte etwas Unmenschliches. Als er vier Monate später zurückkam, wartete ich es nicht ab; ich reiste ein paar Tage vorher nach Hause, überließ die Kinder einer zuverlässigen Frau, und an Lajos schrieb ich einen Brief, in dem ich ihm erklärte, daß ich diese künstliche Mutterrolle nicht wünsche, daß mich seine Angelegenheiten nicht interessierten, daß ich ihn nicht mehr sehen wolle. Es kam nie eine Antwort auf diesen Brief. In den ersten Wochen, ja, in den ersten Jahren wartete ich tatsächlich auf eine Antwort, später begriff ich, daß er nicht schreiben konnte, daß die Welt, in der wir zwei gelebt hatten, zerfallen war. Und so erwartete ich gar nichts mehr.
Jetzt, da Éva anklagend und aufgebracht von den Briefen sprach, fiel mir plötzlich die Rosenholzschachtel ein. Diese Schachtel hatte nämlich mir gehört. Ich hatte sie von Lajos zu meinem sechzehnten Geburtstag bekommen, aber Vilma wollte sie von mir haben. Ich gab sie ungern her. Damals kannte ich Lajos noch nicht wirklich, und ich kannte auch meine Gefühle für ihn nicht. Vilma bettelte so lange, bis ich ihr die Schachtel gab, zögernd, aber doch ohne besonderen Widerstand; wahrscheinlich war mir die Bettelei verleidet. Vilma nahm mir so ziemlich alles ab, was den Weg zu mir gefunden hatte: Kleider, Bücher, Notenhefte, alles, von dem sie merkte, daß es mir ein bißchen wichtig war oder Freude bereitete. Deshalb wollte sie auch die Rosenholzschachtel haben. Eine Weile widerstand ich, dann war ich die Sache leid, und ich gab die Schachtel her. Ich mußte es tun, ganz einfach weil sie die Stärkere war. Später, als ich zu ahnen begann, was es mit Lajos und mir auf sich hatte, bat ich sie verzweifelt, die Schachtel zurückzugeben. Aber da behauptete sie, die Schachtel sei verlorengegangen. Dieses mit Rosenholz ausgelegte, würzig und auch ein wenig stickig riechende Schächtelchen mit dem roten Seidenfutter war das einzige Geschenk, das ich von Lajos im Leben bekommen hatte. Den Ring habe ich nie als ein echtes Geschenk betrachtet. Die Schachtel verschwand aus meinem Leben. Und jetzt war sie in Évas Bericht wieder zum Vorschein gekommen, nach Jahrzehnten, mit einem so seltsamen Inhalt, drei Briefen von Lajos, in denen er mich anflehte, mit ihm vor seiner Hochzeit davonzulaufen, ihn zu retten. Ich stellte die
Weitere Kostenlose Bücher