Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
seine Zeit, bis mir aufging, daß der junge Mann, der als erster aus dem roten Wagen gestiegen war, die üblichen Höflichkeitsfloskeln gemurmelt und dann zu niemandem mehr etwas gesagt hatte – er beschäftigte sich ausschließlich mit der Erziehung des löwengesichtigen Hundes –, daß dieser junge Mann der Sohn der Frau war. Das alles war irgendwie gegen die Spielregeln. Der junge Mann war blond, hellblond, so hell, daß sein Gesicht nackt wirkte; man konnte seine Augenbrauen kaum von der Gesichtsfarbe unterscheiden, und er blinzelte fortwährend. Sein Haar war kraus und wollig wie das eines alten Negers. Später setzte er eine dunkelblaue Brille auf und verschwand völlig hinter den dunklen Gläsern. Erst gegen Abend erfuhr ich, daß er Évas Verlobter war und daß die Frau, irgendeine Gnädige, die fortwährend falsch betonte französische Wörter in ihre Sätze mischte, Lajos seit Jahren den Haushalt führte. Im Durcheinander der ersten Stunden war mir das alles noch nicht klar gewesen.
    Die Frau, von den Kindern Olga gerufen, schien befangen und traurig – sie drängte sich nicht in unsere Gesellschaft und saß zunächst still am Frühstückstisch, spielte mit ihrem Sonnenschirm und starrte auf den Teller. Eine Abenteurerin, dachte ich, doch später merkte ich, daß es eine müde, unlustige Abenteurerin war, eine, die nicht mehr wirklich ans Abenteuer glaubte, sondern am liebsten sämtliche Unternehmungen aufgegeben hätte und zu einer stillen Beschäftigung, zum Häkeln oder zum Töpfern, zurückgekehrt wäre. Zuweilen verzog sie den Mund zu einem bitteren Lächeln und ließ gelbe Männerzähne sehen. Als wir endlich einander gegenüberstanden, wußte ich nicht, was sagen. Wir maßen uns mit den Augen, lächelnd zuerst, dann ohne zu lächeln, harten Blickes und mit unverhülltem Mißtrauen. Ein süßliches Parfüm entströmte ihren Kleidern und ihrem gefärbten gelben Haar.
    »Liebe Eszter«, sagte sie.
    Ich sagte laut und abwehrend: »Gnädige Frau.«
    Dann mußte ich lachen. Das Haus schien zu schweben in dieser Stunde des späten Vormittags, so wie die flimmernden Lichthäuser einer Luftspiegelung. Türen schlugen zu, Lajos holte aus einer Schachtel eine Schildkröte heraus und führte vor, wie das Tier auf Musik hörte, wie es auf Pfeifen reagierte, den schrumpeligen Hals reckte und zischend Zeichen gab. Er hatte das Reptil als Kuriosität, als Dekor, als Zeugnis und Triumph seiner unvergleichlichen Dressurkünste mitgebracht. Die Schildkröte hatte großen Erfolg. Man bestaunte begeistert die Darbietung, nicht einmal der ernste Endre vermochte seine Neugier zu unterdrücken.
    Dann verteilte Lajos Geschenke: eine Armbanduhr für Laci, eine seltene, in zwei unterschiedliche Ledersorten gebundene Ausgabe französischer Verse für Nunu – er hatte die Bände mit einer Widmung versehen, ohne sich im geringsten darum zu kümmern, daß Nunu kein Wort Französisch verstand –, teure ausländische Zigarren für Tibor und Endre, für mich ein Halstuch aus schwerer lila Seide. Die allgemeine Aufregung hatte ihren knisternden Höhepunkt erreicht. Vor dem Gartenzaun lungerten bereits Neugierige herum, und so zogen wir uns ins Haus zurück. Dort hing der heiße Geruch würziger Speisen, der Feiertagsgeruch, der etwas Ewiges und Unvergeßliches hat, etwas von den großen Momenten des Lebens, von den Tischdeckgeräuschen, dem hastigen Eifer, dem Türenzuschlagen, dem Tellerklappern, dem gedämpften Gespräch essender Gäste, von begeistertem Geschrei, von einem so physischen wie musikalischen Fortissimo, davon, daß das Leben wunderbar und festlich ist! So ging es zu im Haus. Die fremde Frau setzte sich in eine Ecke und redete eintönig.
    Sie erzählte, sie habe Lajos acht Jahre zuvor kennengelernt, als sie sich von ihrem Mann trennte. Ihr Sohn war irgendein Beamter, wo und in welcher Funktion, das sagte sie nicht. Ich hatte Menschen, wie es diese Frau und ihr Sohn waren, bis dahin noch nicht aus der Nähe gesehen. Manchmal hatte ich, in Illustrierten blätternd, Photographien bewundert, auf denen die heutige Jugend, oder zumindest eine ihrer Varianten, zu sehen war: jener Menschenschlag, der nachmittags in breitschultriger Kleidung in Hotelhallen tanzt oder Flugzeuge pilotiert oder seinen Zielen auf Motorrädern zustrebt, auf dem Soziussitz eine junge Frau, deren Rock über die Knie hinaufgerutscht ist. Ich weiß, daß es auch eine andere Jugend gibt, eine echtere. Die auf den Bildern ist nur eine Karikatur, ein

Weitere Kostenlose Bücher