Das Vermächtnis der Eszter
fremder, beunruhigender Schlag, von dem ich nichts Genaues weiß. Ich weiß nur, daß ich mit dieser Art Menschen nichts gemeinsam habe. Ich merke es an der Verwirrung und an der Hilflosigkeit, die ich solchen Leuten gegenüber empfinde, merke, daß es auf der Welt eine Art Menschen gibt, zu denen mir der Weg versperrt ist: motorisierte, Tanzbeine schwingende Gestalten, die in Filmen auftreten und sich ein bißchen jenseits der Vereinbarung befinden, die meine Eltern und ich mit der Gesellschaft getroffen hatten. In dem jungen Mann zum Beispiel war etwas, das nicht auf die Bühne des Alltags paßte. Vielleicht ist er ein Romanheld, dachte ich, dann aber doch eher der Held eines Kriminalromans. Er redete kaum, und wenn er etwas sagte, blickte er zur Decke und sprach die Wörter singend und artikuliert aus. Auch er war traurig, wie seine Mutter, eine trostlose Traurigkeit ging von beiden aus. Ich hatte noch nie empfunden, daß Menschen so schreiend, so beleidigend fremd sein konnten. Er trank nicht, er rauchte nicht. Am linken Handgelenk trug er eine dünne Goldkette, und manchmal riß er die Hand hoch, als wollte er jemanden schlagen, und ließ die Kette mit einer mechanischen Bewegung an seinem Arm weiter nach oben gleiten. Ich erfuhr dann, daß er kurz zuvor dreißig geworden war und in irgendeinem Büro einer politischen Partei als Sekretär arbeitete. Wenn er seine dunkelblaue Brille abnahm und mit wäßrigen Augen auf die Personen und Gegenstände des Zimmers blickte, wirkte er älter als Lajos.
Was gibst du dich mit ihnen ab! sagte ich zu mir. Ich konnte aber nicht umhin zu merken, daß er die Gesellschaft im Auge behielt. Schon sein Name gefiel mir nicht, dieser nichtssagende Allerweltsname: Béla hieß er. Etwas in mir reagiert stark auf Namen, mit Zustimmung oder Abwehr. Es ist ein unausgegorenes, ungerechtes Gefühl. Und doch bestimmen solche unausgegorenen Gefühle unsere Beziehung zur Welt, unsere Sympathien und Feindseligkeiten. Ich konnte mich nicht lange mit dem jungen Mann beschäftigen, denn seine Mutter belegte mich vor dem Mittagessen völlig mit Beschlag. Sie erzählte unaufgefordert ihr ganzes Leben. Die Erzählung war eine einzige, die irdischen und himmlischen Mächte zur Wiedergutmachung auffordernde Anklage – gegen Frauen und Männer, Verwandte und Liebhaber, Kinder und Ehemänner. Sie leierte diese Anklage in runden Sätzen herunter, als sage sie eine Lektion auswendig her. Alle hatten sie betrogen, alle waren gegen sie, alle hatten sie am Ende verlassen: Das war, soweit ich verstand, die Quintessenz ihrer Klagerede. Mir war es unheimlich, denn eine Wahnsinnige schien da zu reden. Auf einmal kam sie ohne Übergang auf Lajos zu sprechen. In einem vertraulichen, zynischen Ton, den ich nicht ertrug. Jetzt spürte ich gedemütigt, daß Lajos in der Gesellschaft von dubiosen kleinen Leuten in mein Haus eingefallen war, und schließlich hat man noch seine Würde. Ich stand auf, in der Hand das lila Seidentuch.
»Wir kennen uns nicht«, sagte ich. »Vielleicht sprechen wir besser nicht darüber.«
»Was das betrifft«, sagte sie gelassen, »so werden wir noch viel Zeit haben, darüber zu sprechen. Wir werden uns schon noch kennenlernen, liebe Eszter.«
Sie zündete eine Zigarette an, ließ den Rauch lange ausströmen und starrte mich hinter der Rauchwolke so ruhig an, als hätte sie schon alles erledigt, alles entschieden, als wüßte sie etwas, das ich nicht wußte, und als bliebe mir gar nichts anderes mehr übrig, als zu gehorchen.
13
Drei Gespräche muß ich hier festhalten. Nichts anderes geschah am Nachmittag, als daß sich Éva, Lajos und der »berufshalber« herbeigebetene Endre einer nach dem anderen bei mir einstellten. Nach dem Mittagessen zerstreuten sich die Gäste. Lajos ging ein Schläfchen machen, mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre er zu Hause und wollte eine eiserne Gewohnheit nicht aufgeben. Gábor und die Fremden brachen im Wagen auf, um Burgruine, Kirche und Landschaft zu besichtigen, und sie kamen erst nach Sonnenuntergang wieder. Éva trat gleich nach dem Mittagessen in mein Zimmer. Ich stellte mich mit ihr ans Fenster, nahm ihren Kopf in beide Hände und betrachtete sie lange. Sie erwiderte meinen Blick aus ruhigen, klaren blauen Augen.
»Du mußt mir helfen, Eszter«, sagte sie dann. »Nur du kannst es.«
Sie hatte eine hohe, leicht singende Stimme, wie ein Schulkind. Sie reichte mir gerade bis an die Schultern. Ich umarmte sie, aber dann kam mir die
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