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Das Vermächtnis der Feen (German Edition)

Das Vermächtnis der Feen (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Feen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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halten. – Wo möchtest du schlafen?«
    »Definitiv Sofa!«, entschied Josie sofort. »Gewisse Leute hier schnarchen bekanntlich. – Gibt es dafür eigentlich auch ein Gen?«
    »Josefinchen!« Taddy drohte ihr mit dem Finger.
    Eine halbe Stunde später kuschelte sich Josie auf der ausgezogenen Schlafcouch in die Decke. Durch die Jalousie sickerte messinggelb das Licht der Straßenlaternen. Autos rumpelten über Kanaldeckel, ein Motorrad heulte auf. Irgendwo gluckerte eine Wasserleitung, ganz in der Ferne dudelte ein Radio – oder doch ein Fernseher? Wie viel ruhiger war es doch daheim! Ob sie bei all den ungewohnten Geräuschen gut schlafen würde? Herzhaft gähnend drehte sie sich um und schloss die Augen.
    Sogleich tauchte sie in erste flüchtige Traumbilder. Unvermittelt schwebte etwas Schwarzes dazwischen. Josie schreckte hoch und blinzelte argwöhnisch in das halbdunkle Zimmer. Wieder nahm diese eigenartige Ahnung von ihr Besitz und begleitete sie in ihre Träume.

 
    Sechs Uhr! Josie schielte unwillig auf den Wecker. Definitiv zu früh! Verdammt! Das kam sicher von der Zeitverschiebung. Sie drehte sich um und versuchte, sich an ihren Traum zu erinnern, fest entschlossen, ihn einfach weiterzuträumen. Aber wie jeden Morgen hatte er sich mit dem Aufwachen in eine winzige Motte verwandelt, die orientierungslos in ihrem Kopf herumschwirrte. Je mehr sie darüber nachgrübelte, desto wacher wurde sie. Eine Viertelstunde später gab sie es auf.
    Sie blinzelte durch die Wimpern. Taddy schlief hundertprozentig noch. Er würde wohl erst gegen sieben aufstehen. Noch lag das graue Gespinst der Dämmerung über dem Raum, aber spätestens in einer halben Stunde würde es hell sein. Wirklich bescheuert, dass man den See nicht sehen konnte! Der Sonnenaufgang war sicher ein Erlebnis. Josie rappelte sich hoch und streckte sich. Für einen Augenblick saß sie unentschlossen im Bett. Ob das Gebäude eine Dachterrasse besaß? – Bestimmt! Mit einem Satz sprang sie auf. Wenig später schlich sie sich aus der Wohnung.
     
    Der Lift spuckte sie in der zehnten Etage aus. Josie sah sich suchend um. Wie kam man bloß ganz nach oben? Emergency-Exit las sie über einer Metalltür. Dahinter verbarg sich ein grau getünchtes, wenig anheimelndes Treppenhaus. Beklommen beugte sie sich über das Geländer und ihr wurde fast schwindelig. Scheinbar endlos führten Stufen in die Tiefe. Sie reckte den Kopf nach oben. Weiter hoch ging es also auch! Mit großen Schritten nahm sie die letzten beiden Treppenabsätze und stand vor einer verrosteten Eisentür. Gespannt drückte sie die Klinke. – Glück gehabt! Offen!
    Josie trat ins Freie. Die Luft war klar und schneidend, der Himmel weit und wolkenlos. Möwen kreischten. Nicht die Art Möwen, die sie von zu Hause kannte. Diese hier waren mindestens doppelt so groß. Sie ging ein paar Schritte über die graue Plattform, ließ Versorgungsschächte und Kamine hinter sich und blieb bezaubert an der Brüstung stehen. Der Ausflug hatte sich gelohnt! Wie ein unendlicher Spiegel aus Silberglas lag der See vor ihr. Wo der Horizont das Wasser berührte, glomm es verheißungsvoll. Nur Minuten später brannte der Himmelsrand in explodierendem Rot. Josie versank in Farbe und Licht. Erst als die Morgensonne wie ein vollreifer Granatapfel über dem See hing, fühlte sie, wie kühl es noch war. Die eisigen Finger der Kälte krochen unter ihre dünne Jacke. Sie zog sie gerade enger um sich, als ein Schatten knapp über ihren Kopf glitt. Josie duckte sich reflexartig und fuhr dann herum. Ein schwarzer Vogel landete auf einem der Kamine.
    Josie atmete auf. Ein Vogel! Nur ein harmloser Vogel! Vorsichtig, um ihn nicht zu verscheuchen, wagte sie sich näher hin. Es war eine Amsel, eine Amsel mit einem auffälligen weißen Brustfleck. Sie blickte Josie aus schwarzen Tautropfenaugen unverwandt an und zwitscherte – nein, sang ein Lied, eine Melodie, die sich in purpurroten Wellen in das gläserne Licht des frühen Tages ergoss.
    Aus den Tiefen ihres Unterbewusstseins blitzte etwas wie Erkennen auf. Fast gleichzeitig begann sich der Vogelkörper zu strecken. Der Schnabelkopf formte sich zu einem menschenähnlichen Gesicht, der helle Brustfleck gerann zu einem weißen Gewand und die Flügel verschmolzen zu einem schimmernd schwarzen Federmantel.
    Josie schloss für einen Moment die Lider. Die feine Ader, die sich von ihrer Nasenwurzel zur Stirn zog, klopfte im rasenden Takt ihres Herzens. Die Amsel war ein

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