Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Tür hinter ihr zu, schloss die Geräusche der Straße, das Geschrei der Händler, den Hufschlag der Pferde und das Rumpeln der Karren auf dem Straßenpflaster aus. Kühle Stille umfing Serena von einem Augenblick zum anderen, die etwas Ehrfurcht gebietendes, fast Heiliges hatte. Ein Odem schlug ihr entgegen, der nicht zu vergleichen war mit den Gerüchen, die draußen auf der Straße herrschten, Blütenduft mit einer Note von Lavendel und Thymian. Und noch etwas anderes, das schwer in der Luft lag und ihr eine süßlich-bittere Note gab. Tabak, womöglich …
»Folge mir.«
Der Türwächter, der, wie Serena jetzt sehen konnte, eine blaue Livree trug, führte sie einen schmalen Gang hinab in einen kleinen, von einem Säulengang umlaufenen Innenhof, in dessen Mitte ein Brunnen plätscherte; der Boden war aus weißem Marmor, Mosaike übersäten die Wände, grüner Wein rankte an den Säulen empor. Genau so, sagte sich Serena, musste der Eingang zum Paradies aussehen.
Mit einem finsteren Blick bedeutete der Diener ihr zu warten, dann verschwand er abermals und kehrte nicht mehr zurück. Statt seiner kam eine Frau den Säulengang herab.
Sie war vielleicht nur knapp zehn Jahre älter als Serena, aber das schwere Kleid, das sie trug, und die gepuderte Perücke verliehen ihr etwas Herrschaftliches, Einschüchterndes. Bereitwillig senkte Serena den Blick, verbeugte sich, wie Don Alfredo es ihr beigebracht hatte, mit einem Knicks. Ihr war klar, dass sie dabei jeder Eleganz entbehrte und es plump und bäuerisch aussehen musste, aber wenigstens wusste sie, was sich gehörte. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, während die Dame des Hauses sich ihr näherte und schließlich vor ihr stehen blieb.
»Dein Name ist Serena?«
Die Frage klang scharf und forschend, fast wie bei einem Verhör.
»J-ja.« Serena nickte, wobei sie den Kopf weiter gesenkt hielt.
»Ja, Duchess«, verbesserte die Frau, deren Englisch sich in Serenas Ohren kalt und schneidend anhörte wie ein Messer. »Ich bin die Tochter des Herzogs von Albany, dessen Haus dies ist.«
»Ja, Duchess«, wiederholte sie ohne Zögern. Sie wusste nichts von Adelstiteln, geschweige denn von ausländischen, sprach einfach nur nach, was sie hörte. Don Alfredo hatte ihr eingeschärft, ihre Fragen für sich zu behalten.
»Woher kannst du unsere Sprache?«
»Von meinem Vater«, erwiderte Serena wahrheitsgemäß. »Er war Soldat in Lorenas Diensten.«
»Ein Söldner also«, stellte die Dame fest, während sie sie lauernd umkreiste. Was sie davon hielt, war nicht festzustellen, zumal Serena den Blick weiter gesenkt ließ und ihr nicht ins Gesicht zu blicken wagte.
»Ich verstehe«, sagte sie und entfaltete geräuschvoll das Empfehlungsschreiben. »Don Alfredo ist ein Freund unserer Familie. Nach allem, was er hier berichtet, scheinst du dir sein Vertrauen erworben zu haben. Die Frage ist, ob du auch mein Vertrauen verdienst.«
»Das hoffe ich sehr, Duchess«, versicherte Serena. »Jedenfalls will ich alles tun, um es zu verdienen.«
Die hohe Dame erwiderte nichts, sondern umkreiste sie weiter, bis sie endlich vor ihr stehen blieb. »Sieh mich an, Kind«, verlangte sie.
Gehorsam hob Serena den Blick, sah die Duchess erstmals aus der Nähe. Braun gelocktes Haar umrahmte ein rundes, gelbhäutiges Gesicht mit hervorspringender Nase; die grauen Augen standen weit auseinander, der Mund war dünnlippig und schmal; dennoch erschien sie Serena geradezu überirdisch schön.
»In dem Schreiben steht, dass du dich auf Küchenarbeiten und das Zubereiten von Mahlzeiten verstehst.«
Serena nickte. »Ich kann kochen und vieles Weitere, was in einem Haushalt vonnöten ist. Ich verstehe mich auch auf das Waschen und Nähen von Kleidung sowie auf das Ausbessern von …«
»Tatsächlich brauchen wir eine neue Küchenhilfe«, fiel die Dame ihr ins Wort. »Die alte war nicht mehr tragbar, nachdem sie ihre Pflichten sträflich missachtet hatte.«
»Das werde ich nicht«, versicherte Serena.
»Hast du Familie?«
Serena schüttelte den Kopf. »Mein Vater fiel vor einigen Jahren im Gefecht. Meine Mutter ist im vorletzten Winter gestorben.«
»Und sonst hast du niemanden?«
Serena schüttelte den Kopf, vielleicht ein wenig zu rasch, denn der prüfende Blick der Hausherrin blieb auf ihr haften.
»Bist du sicher?«
»Ja, Duchess«, versicherte Serena, wobei sie abermals das Haupt neigte. »Deshalb schickte Don Alfredo mich zu Ihnen.«
Die Dame schien nachzudenken.
Ihre Blicke pendelten
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