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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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gehabt, Walter Scott zu kennen, und eine tiefe Verbundenheit zu ihm gespürt, die sich bestätigt hatte, als sie dem Romancier schließlich tatsächlich begegnet war.
    Nie würde sie diese erste Begegnung vergessen. Sir Walter war es gewesen, der ihre Zofe und sie aus einer Kutsche gerettet hatte, die in eine tiefe Schlucht zu stürzen drohte. Dieser Tag, an dem sie ebenso gut hätte sterben können, hatte ihr Leben verändert, in jeder Hinsicht. Denn an diesem Tag war sie auch Quentin zum ersten Mal begegnet.
    Quentin …
    Sie wusste, dass er sie liebte und es gut mit ihr meinte. Doch in letzter Zeit verstand sie ihn nicht mehr. Wie konnte er nach allem, was geschehen war, einfach so weitermachen? Wie die Trauer hinter sich lassen und den Blick nach vorn wenden? Noch nicht einmal der Tod Sir Walters schien ihm besonders nahezugehen, was also war mit ihm geschehen?
    Oder war in Wirklichkeit sie es, die sich verändert hatte? Hatte Quentin recht, wenn er behauptete, dass sie nicht mehr zur Normalität zurückfand? Nur, wie konnte sie das, wenn all diese Dinge geschahen? Dinge, die ganz unleugbar in einem Zusammenhang standen. Schon wiederholt hatte Mary die Erfahrung gemacht, dass Träume – und ganz besonders ihre Träume – bisweilen mehr waren als ein Blick in die Abgründe der eigenen Furcht. Sie konnten mitunter ein Spiegel dessen sein, was geschehen war, an einem anderen Ort oder gar in einer anderen Zeit. War dies der Grund, warum sie von Sir Walter geträumt hatte? Sprach er aus ihren Träumen so wie einst das Mädchen Gwynneth? Die Erinnerung an die Ereignisse von damals ließen Mary erschauern. Und jetzt war Sir Walter tot!
    Einer der Gründe, warum sie mit Quentin in die Neue Welt gegangen war, war die Hoffnung gewesen, diesen Träumen zu entfliehen, und eine Zeitlang hatte es auch so ausgesehen, als wäre es gelungen. Bis vor einigen Monaten …
    Vielleicht hatte Quentin ja recht, wenn er sagte, dass es an ihrem Zustand lag, an dem, was sie hatte durchleiden müssen. Aber was, wenn nicht? Wenn alles auf eine Weise zusammenhing, die sie nicht durchschauen konnte, weil sie außerhalb ihres Begreifens lag? Oder war dies alles nur ein kindlicher Wunsch, weil sie den Gedanken nicht ertragen konnte, dass es keinen höheren Sinn hinter all dem gab? Keinen tieferen Grund? Keinen Trost?
    Sie hielt es im Bett nicht mehr aus.
    Schneidend kalte Luft umfing sie, als sie die Decke zurückschlug, dennoch stand sie auf, trat an das von Eisblumen umrahmte Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit und Kälte. Es schien, als wäre selbst die Luft gefroren. Glitzerndes Eis überzog die umliegenden Dächer, die Laternen unten auf der Straße führten einen erbitterten Kampf gegen den Nebel, der von der Battery und den Südbezirken heraufzog. Eine Kutsche fuhr am Haus vorbei, ein Zweispänner, gekrönt von vier Laternen, die an den Ecken des Gehäuses angebracht waren; der Hufschlag der Pferde hallte hohl und unheimlich durch die Straße, während der Laternenschein über die Fassaden wischte – und für einen flüchtigen Moment eine Gestalt aus der Dunkelheit riss.
    Mary zuckte zusammen.
    Dort unten, auf der anderen Straßenseite … stand da nicht jemand? Eine schmale Gestalt, die geradewegs zu ihr heraufsah?
    Instinktiv wich sie vom Fenster zurück. Müde und durcheinander, wie sie war, dauerte es einen Moment, bis ihr dämmerte, dass der Fremde sie unmöglich gesehen haben konnte, schließlich war es im Schlafzimmer völlig dunkel. Dennoch spürte sie ihr Herz pochen, als sie wieder ans Fenster trat und vorsichtig hinabspähte.
    Aber sie entdeckte niemanden mehr.
    Der Fremde war verschwunden, wenn er überhaupt je …
    Sie erschrak, als sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legte. Ein spitzer Schrei entfuhr ihr. Sie riss sich los, fuhr entsetzt herum – nur um sich Quentin gegenüberzusehen, der sie mit großen Augen ansah.
    Seine schlichten, von rotblondem Haar und einem schmalen Kinnbart umrahmten Züge verrieten ehrliche Besorgnis. Die Finger an seiner rechten Hand waren von Tinte geschwärzt, um seine Augen lagen dunkle Ränder, wie immer, wenn er bis spät in die Nacht an einem Artikel arbeitete.
    »Verzeih«, bat er, »ich wollte dich nicht erschrecken. Ich hörte nur Schritte auf den Dielen und wollte nach dir sehen.«
    »Es … ist nichts«, versicherte sie. »Ich konnte nur nicht schlafen, deshalb bin ich aufgestanden.«
    »Sonst geht es dir gut?« Sein Blick war unverhohlen

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