Das Vermächtnis der Schwerter
verliebt. Dann, so berichtete sie Tabuk weiter, habe sie bei ihrem Aufenthalt auf Megas’ Schiff zufällig mit anhören müssen, dass der Inselherr ebendiesem Geliebten nach dem Leben trachte, und sich daher zu einer riskanten Rettungstat entschlossen. Untermalt von einigem Schluchzen und Seufzen, konnte Shyrali Josh Tabuk diese Erklärung für ihre momentane missliche Lage tatsächlich glaubhaft machen. Die Abneigung des Kapitäns gegen seinen Herrn Megas Arud’Adakin tat das Übrige. Ohne dass sie ihn direkt danach fragen musste, bot ihr Tabuk letztlich seine Hilfe an.
Bei solchen Erfolgen würde selbst Abak keinen Grund für Tadel finden. Vielleicht würde er sich sogar zu einem seltenen Lob überwinden. Denn schließlich war Shyrali gerade im Begriff, die größten Feinde des Reichsverräters Megas zu einer Allianz zusammenzuschmieden, die dem Inselherrn von Ho’Neb in naher Zukunft durchaus gefährlich werden konnte. Genau das war es, was ihr Meister Abak Belchaim immer als die hohe Kunst der passiven Unterwanderung pries. Auf diese Weise konnte Megas geschwächt werden, ohne dass dafür die momentan sehr knappen finanziellen und militärischen Mittel ihres Herrn Jorig Techel strapaziert werden mussten.
Ohne Schwierigkeiten passierte Shyrali mit ihrem Ochsenkarren zwei von Megas’ Patrouillen und erreichte unbehelligt den Steg, an dessen Ende das Schiff von Josh Tabuk lag. Zugtier und Karren waren zu schwer für den hölzernen Steg, weshalb sie mit ihren Fässern auf der Kaistraße warten musste, bis ein paar Matrosen zu Hilfe eilten, um die vermeintliche Warenlieferung in den Laderaum des Schiffes zu bringen. Die Fässer wurden von den Matrosen über zwei parallel an den Transportkarren gelegte Stangen auf den Steg hinabgerollt und dann weiter über fast hundert Schritt bis zu einer Rampe, die hinauf aufs Schiff führte. Wenn die Ecorimkämpfer nicht schon nach dem Genuss des Grupps von furchtbarer Übelkeit geplagt waren, dann würden ihre Mägen spätestens nach dieser Strapaze rebellieren, dachte Shyrali ein wenig mitleidig, aber nicht allzu besorgt. Shyrali folgte der Fracht leichtfüßig, ohne dass sie von den Schiffswachen aufgehalten wurde. Obwohl sie nicht wie gewöhnlich, wenn sie an Bord kam, ihre Bajulatinnenrobe trug, kannte man inzwischen ihr Gesicht. Die verstohlenen Blicke, welche ihr von einigen Soldaten zugeworfen wurden, erklärte sie sich mit der Tatsache, dass Schiffsbesatzungen hübsche, junge Frauen wie sie wahrscheinlich nicht allzu oft zu Gesicht bekamen.
Über weitere Rampen ging es nun wieder abwärts zum Ladedeck im Bauch des Seglers. Auch dorthin begleitete Shyrali ihre Fässer, da sie befürchtete, die Matrosen würden unwissentlich doch zu unsanft mit der menschlichen Fracht darin umspringen. Doch schließlich hatten sie das unterste Schiffsdeck erreicht, das durch massive Holzwände in mehrere Bereiche eingeteilt war. Durch zwei breite Türen wurden die Fässer in eine Ecke des nur zur Hälfte gefüllten hintersten Laderaums gerollt und dort aufrecht abgestellt.
Shyrali bedankte sich bei den Matrosen mit einem freundlichen Nicken, das jedoch keine Erwiderung fand. Stattdessen verließen die Seeleute schweigend und geradezu hastig den Raum. Ohne eine Erklärung schloss der letzte hinter sich die Tür. Shyrali stutzte, doch es war bereits zu spät. Noch ehe sie reagieren konnte, war das kratzige Geräusch eines Schlüssels zu vernehmen, der zweimal im Schloss herumgedreht wurde. Aufgeregt eilte sie zu der Tür und hämmerte dagegen.
»Heh!«, rief sie nervös. »Macht sofort auf! Kapitän Tabuk wird nicht erfreut sein, wenn er hört, dass ihr mich hier unten eingeschlossen habt!«
»Das geschieht auf direkten Befehl vom Käpt’n«, hörte sie eine Stimme hinter der Tür sagen, gefolgt von einem hämischen Lachen.
Ein großer Stein schien in ihren Magen hinabzusinken. Hatte Josh Tabuk sie etwa hintergangen? Sollte sie den so gutmütig wirkenden Krüppel doch völlig falsch eingeschätzt haben? Sie presste verbissen ihre Stirn gegen die verschlossene Tür, während sie die aufkommende Verzweiflung niederzukämpfen versuchte. Abaks mahnende Worte klangen ihr plötzlich im Ohr:
»Werfe niemals die Vorsicht über Bord, nur weil der Wind gerade günstig steht!«
Genau diesen Ratschlag hatte sie nicht beherzigt, sondern sich stattdessen in eitler Selbstzufriedenheit gesonnt. Für dieses voreilige und dumme Verhalten bezahlte sie nun. Sie sah sich nach den Fässern um. Wie
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