Das Vermächtnis der Schwerter
begann. Aber die tiefe Verachtung in seinem Blick und seinen Worten wirkte auf Shyrali vernichtender als alles, was er ihr sonst hätte antun können:
»Nun ja, eigentlich sollte es uns nicht verwundern, dass sie für Techel arbeitet. Sie passt wunderbar zu den Lügnern, Dieben und Mördern, mit denen sich der ehemalige König so gerne umgibt.« Er drehte ihr den Rücken zu. »So wie ich die Sache sehe, Kapitän Tabuk, haben wir bisher mehr Gründe, Euch zu vertrauen, als es nicht zu tun. Aber das ist nur meine Meinung. Was sagen die anderen?«
Targ und Eringar gaben zunächst keine Antwort, denn ihnen war der Ärger über Shyralis Betrug noch deutlich anzumerken. Unter diesen Umständen sahen sie natürlich wenig Veranlassung, nun schon wieder einem Unbekannten ihr Vertrauen zu schenken.
»Wir werden nach Andobras fahren und uns mit Arton treffen«, erwiderte schließlich Deran, »aber ob und was wir Euch über die Verteidigung der Insel berichten, wird allein Arton entscheiden. Ist das eine annehmbare Abmachung?«
Kapitän Tabuk legte den Kopf leicht schräg. »Das klingt vernünftig«, meinte er knapp. »Dann sind wir uns einig. Lasst uns jetzt die Einzelheiten klären.«
GEWAGTES VERTRAUEN
R ai stand gedankenverloren am Hafen von Andobras und beobachtete das emsige Treiben. Seit nun schon mehr als einem Vierteljahr war die Sperrkette nicht mehr gehoben worden, denn wie durch ein Wunder hatte sich bis zum heutigen Tage kein citheonisches Kriegsschiff hierher verirrt und somit konnte diese Sicherheitsmaßnahme unterbleiben. Stattdessen nahm der Handel mit dem Festland allmählich beachtliche Ausmaße an, und nachdem die Erzförderung durch die Xeliten in den Minen ebenfalls gut angelaufen war, standen auch einige Waren zum Tauschen zur Verfügung. Die Ausgaben für Nahrungsmittel und ähnlich essenzielle Güter mussten bislang aber noch beinahe vollständig aus dem Gold des Tempelschatzes gedeckt werden, den Barat mit Kommandant Garlans Hilfe im Citheiligtum aufgespürt hatte.
Doch heute war Rai nicht wegen der Handelsschiffe in den Hafen gekommen, obwohl er sich mittlerweile solche Beschaulichkeiten durchaus erlauben konnte, denn in der Festung gab es derzeit nicht wirklich viel für ihn zu tun. Er wollte sich die neuesten Flüchtlinge aus der Nähe betrachten. Dabei handelte es sich jedoch nicht etwa um Menschen, die die Insel Andobras verlassen wollten, sondern diese Heimatlosen stammten vom Festland, angeblich sogar aus Skardoskoin und suchten auf Andobras ein neues Zuhause. Rai musste daran denken, wie sie sich noch vor gar nicht allzu langer Zeit nur schweren Herzens dazu entschlossen hatten, die Sperrkette zu senken in der sicheren Gewissheit, dass ein großer Teil der Andobrasier diese Gelegenheit sofort zur Flucht von der Insel nutzen würde. Wenn ihm damals jemand erzählt hätte, wie gänzlich anders sich die Dinge entwickeln würden, hätte Rai dem vermutlich keinerlei Glauben geschenkt. Aber Andobras wandelte sich, ganz wie es Barat erträumt hatte, von einem Ort der Unterdrückung und Angst zu einem regelrechten Leuchtturm der Freiheit. Gerade in das unterjochte Land Skardoskoin, das von den Statthaltern des Königs von Citheon gnadenlos bis auf die letzte Münze ausgepresst wurde, war in Windeseile die Kunde vom freien Leben auf der ehemaligen Sklaveninsel getragen worden. Dort gab es genügend Verzweifelte, die nichts zu verlieren hatten und sich daher nicht davor scheuten, dieses sagenhafte Land frei von Knechtschaft und Willkür zu finden.
Rai betrachtete neugierig die hellhäutigen, meist blonden oder rothaarigen Menschen. Sie waren zwar groß gewachsen, aber zumeist sehr hager. Häufig hatten sie sich in Tierfelle gehüllt, was dem Tileter im ersten Augenblick ein wenig rückständig erschien. Andererseits waren sie damit für das wankelmütige Wetter auf Andobras genau passend gekleidet. Die meisten der zwanzig Neuankömmlinge standen noch etwas ratlos auf dem Kai herum, während sich einige Soldaten der Arbeitergarde trotz der unterschiedlichen Sprachen mit ihnen zu verständigen versuchten.
»Kannst du mir sagen, wo ich Rai oder Barat finde?«, redete ihn plötzlich jemand von der Seite an. Rai fuhr überrascht herum und sah sich vier Schwertträgern gegenüber. Einer der Fremden erinnerte Rai wegen seiner Größe im ersten Moment beängstigend an Ulag. Augenblicklich brach ihm kalter Schweiß aus allen Poren und das, obwohl der Hüne ganz freundlich dreinblickte. Aber die
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