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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Anastasia, die über einem dunkelroten Sarafan einen Umhang aus Wolle trug, mit dem sie sich vor der kalten Feuchtigkeit der Nacht zu schützen suchte. Der zweite Sessel war leer.
    Marie und Gelja wurden von Dimitris Wachen zu einer Gruppe eng zusammenstehender Mägde gescheucht, in deren Mienen sich so viel Entsetzen spiegelte, als sollten sie ebenso bestraft werden wie Darja. Dabei sah Marie etliche scheele Blicke auf sich gerichtet, doch es fiel kein böses Wort. Auch wenn die Russinnen sie nicht mochten, weil sie in ihren Augen eine Ketzerin war, so schüttelten sie sich alle bei dem Gedanken, Darja hätte ihre Tat ausführen können. In dem Fall hätte der Zorn des Fürsten alle Mägde im Terem getroffen, und er wäre imstande gewesen, jede von ihnen dafür umbringen zu lassen. Aus diesem Grund waren sie der Fremden sogar ein wenig dankbar, weil diese den Mord an dem Kind vereitelt hatte, doch das wollte keine von ihnen offen zugeben.
    Stattdessen wurde Marie von einer älteren Magd getadelt. »Warum hast du Darja nicht gleich niedergestochen? Das wäre gnädiger gewesen.«
    Sie kam nicht dazu, ihr eine Antwort zu geben, denn Anastasiahatte sie entdeckt und winkte sie zu sich. Auf ihren Befehl musste sie sich zu der alten Kräuterfrau gesellen, die links von der Fürstin stand und offensichtlich dem Schlaf nachtrauerte, von dem der Befehl des Fürsten sie fern hielt. Hinter ihr standen Andrej, der Wassilissa um mehr als Haupteslänge überragte, und neben ihm, fast hinter Anastasias Sessel, der Priester.
    Von ihrem neuen Platz aus hatte Marie keine Chance, sich hinter andere Zuschauer zurückzuziehen und den Blick unauffällig abzuwenden, insbesondere weil Anastasia sie immer wieder musterte, als wolle sie ihre Standhaftigkeit oder ihr schlechtes Gewissen prüfen. Daher heftete Marie ihren Blick auf die Stelle, an der Dimitris Tataren sich versammelt hatten. Es handelte sich um zwanzig Männer, die erwartungsvoll grinsten und immer wieder auflachten. Sie ließen einen Weinkrug kreisen und sahen dabei zu, wie eines der Branntweinfässchen angeschlagen wurde, die Lawrentis Freund Anatoli aus Nowgorod mitgebracht hatte. Ein Knecht füllte den Inhalt in große Becher und verteilte sie an die Steppenkrieger. Während die Tataren tranken, begannen sie zu würfeln und benahmen sich dabei wie fröhliche Kinder. Freudige Rufe klangen auf, wenn einer von ihnen gewonnen hatte, während die Verlierer enttäuscht aufstöhnten. Nichts an der friedlichen Szene deutete darauf hin, dass diese Männer in Kürze ein Todesurteil vollstrecken würden.
    »Das ist typisch für unseren Fürsten«, murmelte Wassilissa vor sich hin. »Uns lässt er hier in der Kälte stehen, während er selbst seinen Vergnügungen nachgeht. Bis er sich ausgerammelt hat, sind wir zu Eis erstarrt.«
    Zum Glück für die Kräuterfrau stand niemand nahe genug, um die Worte verstehen zu können, außer Marie, die der Alten im Stillen Recht gab. Der Herr von Worosansk schien sich wirklich nur für seine eigenen Bedürfnisse zu interessieren, denn er ließ sich viel Zeit. Dem Stand des Mondes nach war Mitternacht längst vorüber, als er auf den Hof hinaustrat. Eingehüllt in einenMantel aus Zobelfellen, ließ sich er sich auf seinem Sessel nieder und winkte seinem Leibdiener, der ihm einen Becher voll Branntwein brachte. Während Dimitri genüsslich trank, schlüpfte Alika zwischen den dicht stehenden Leuten hindurch und blieb neben Marie stehen. Ihr Gesicht wirkte starr und sie hatte ihre Lippen zu einem schmalen Spalt zusammengepresst.
    »War es schlimm?«, fragte Marie besorgt.
    Alika machte eine verächtliche Handbewegung. »Habe gemacht, was Ziege tut, wenn Bock sie bespringt, nämlich stillgehalten.« Sie sagte es nicht besonders laut, benutzte aber die russische Sprache, wie die Fürstin es ihr und Marie befohlen hatte, so dass Anastasia ihre Worte verstand und zu kichern begann. Doch sie wurde sofort wieder ernst, als sie ein zorniger Blick ihres Gemahls streifte.
    Dimitri ließ sich einen zweiten Becher voll Branntwein reichen und hob die Hand. »Wo ist Jaroslaw?«
    »Hier!« Lawrenti schob den Bruder des Fürsten nach vorne.
    Man hatte Jaroslaw nicht einmal mehr Zeit gelassen, sich richtig anzuziehen, daher steckte er trotz der kühlen Nacht nur in einem bis zu den Knien reichenden Kittel, dessen Ärmel oberhalb der Ellbogen endeten. Er sah so verschreckt aus, als fürchte er, in dieser Nacht selbst seinen Kopf zu verlieren.
    Dimitri schenkte ihm

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