Das Vermächtnis der Wanderhure
dienen. Gnade! Ehrwürdige Fürstin, ich flehe dich an …«
Zu mehr kam sie nicht, denn Fürst Dimitri versetzte ihr einen Fußtritt mitten ins Gesicht. Blut strömte aus ihrem Mund, und ihr Schluchzen wurde zu einem erstickten Gurgeln. Zwei Knechte packten sie, hoben sie hoch und blickten ihren Herrn fragend an.
»Bringt sie in den Hof! Und ruft alle hier im Kreml zusammen, meine Gefolgsleute und die Knechte. Auch Jaroslaw darf nicht fehlen. Jeder soll wissen, was mit Verrätern und Mördern geschieht.«
Dimitri trat einen Schritt beiseite, damit die Knechte die Magd hinausschleifen konnten, und beugte sich dann über Wladimir, der nun zufrieden in Alikas Armen schlief. Doch der Fürst interessierte sich weniger für seinen schlafenden Sohn als für die Mohrin. Bis jetzt hatte er die Sklavin nur einmal benutzt, und er erinnerte sich an die Summe, die dieses schwarze Ding ihn gekostet hatte.
»Gib meinen Sohn der Amme, damit sie ihn nähren kann, denn er dürfte hungrig sein. Du aber kommst mit mir.«
Obwohl Alika das Russische nicht so gut verstand wie Marie, sagten seine Gesten ihr genug. Sie warf ihrer Freundin einen angsterfüllten Blick zu, nun war genau das eingetreten, was sie befürchtet hatte. Doch wenn sie sich weigerte, dem Fürsten zu Willen zu sein, würde sie wieder ausgepeitscht werden.
Marie konnte nichts anderes tun, als ihrer Freundin das Kind abzunehmen und ihr aufmunternd zuzulächeln. »Erinnere dich an das, was ich dir geraten habe. Wenn der Herr nach dir verlangt, musst du so nachgiebig werden wie Wasser und deinen Gedanken die Freiheit geben, an jeden Ort zu schauen, an den sie sich sehnen. Lass deine Seele zu den schönsten Augenblicken deines Lebens zurückkehren!«
Alika nickte unglücklich und folgte dem Fürsten mit hängendem Kopf und einer Miene, als ginge sie zu ihrer Hinrichtung.
Anastasias Blicke folgten ihr, bis sie den Vorraum des Terems erreicht hatte und ins Freie trat. Dann wandte sie sich an ihre Amme. »Deine Freundin scheint sich nicht darüber zu freuen, dass mein Gemahl sie ausgewählt hat.«
Marie zog seufzend die Schultern hoch. »Keine Frau liebt es, gegen ihren Willen genommen zu werden. Außerdem wünscht Alika nicht, dir Kummer zu bereiten.«
»Das sollte sie auch nicht wagen.« Es lag eine deutliche Warnung in den Worten, die Marie an ihre Freundin weitergeben wollte. Selbst wenn die Mohrin doch noch Gefallen an dem finden sollte, was der Fürst mit ihr trieb, durfte sie es nicht erkennen lassen.
In diesem Augenblick erwachte der kleine Prinz und erinnerte Marie nachdrücklich daran, dass es Wichtigeres gab, als sich Sorgen um Alika zu machen. Sie wies Gelja und eine weitere Magd an, die Wiege des Thronfolgers in ihre Kammer zu bringen, und folgte ihnen, um das Kind zu säugen. Doch kaum hatte sie es sich auf dem Schemel bequem gemacht und dem Prinzen die Brust gereicht, zupfte die Dienerin sie am Ärmel.
»Du musst mitkommen und zusehen, was die Tatarenhunde mit Darja tun.«
»Der Fürst hat mir befohlen, seinem Sohn die Brust zu geben.« Marie hoffte, sich hinter dieser Anweisung verschanzen zu können.
Gelja schüttelte heftig den Kopf. »Wenn du nicht gehst, werden andere Mägde sagen, Darja wäre doch unschuldig, weil du ihre Bestrafung nicht mit ansehen konntest.«
»Aber ich kann den Jungen doch nicht mit nach draußen in die Kälte nehmen!«
Marie blickte auf Wladimir, der ihre Brust jedoch fahren gelassen hatte und wieder eingeschlafen war. Dafür war Lisa munter geworden und begann nun zu weinen.
»Gib ihr die Brust, bis sie still ist. Aber beeil dich, wir müssen gleich hinaus.« Die Russin nahm Marie den Prinzen ab und legte ihn in die Wiege.
Marie hob Huldas Tochter auf und legte sie an die andere Brust. Die Kleine hatte offensichtlich nur ihre Nähe spüren wollen und schlief nach wenigen Atemzügen ein. Marie löste vorsichtig das Mündchen, das sich an ihrer Brustwarze festgesaugt hatte, und bettete Lisa wieder in den alten Korb, der alsKinderbett diente. Rasch band sie das Oberteil ihres Hemdes zu, zog ihre drei Sarafane übereinander an und dazu noch eine alte, gewebte Wolljacke, die dem Muster nach einst von Anastasia aus ihrer Heimat mitgebracht worden war. So eingepackt folgte sie Gelja ins Freie.
III.
D er große Platz, der sich zwischen dem Palast und den Ställen erstreckte, wurde von vier Feuerstößen fast taghell erleuchtet. Auf einem der beiden Sessel, die am Rand eines markierten Kreises standen, saß Fürstin
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