Das Vermaechtnis des Caravaggio
ausgeworfen hatte.
„Ich verstehe Eure Erregung. Ihr
trauert, Caravaggio?“, flüsterte er plötzlich. „Nehmt die Trauer mit ins Bild.
Malt mir einen ‘Tod Marias’ für die Karmeliterkongregation!“
Schwerfällig erhob sich Michele und
ging einen Schritt auf den Mönch zu, der zur Tür hin auswich. Dann drehte er
sich abrupt um und starrte auf den Boden des Ateliers, als fände er dort seine
Gedanken. Nerina fühlte, wie sein anfängliches Zögern und Ablehnen zu einem
festen, klaren Entschluss gerann.
„Warum einen ‘Tod Marias’?“, fragte
er und fuhr sich mit der Hand unsicher durchs Haar. Nerina sah, dass sie
zitterte. Sein Blick wanderte unstet durch den Raum.
Der Mönch lachte leise. Sofort
sträubten sich Nerina die Haare. Woher kannte sie dieses Lachen? Gleichzeitig
wurde sie sich bewusst, dass Michele an der Angel hing.
„Ich dachte mir, dass Ihr danach
fragen würdet, Caravaggio. Weil Ihr der Beste seid, weil Ihr die Trauer nicht
nur kennt, sondern sie auch den Personen auf Eurem Bild mitgeben könnt. Kein
anderer wäre dazu in der Lage. Wer Eure Gemälde betrachtet, den schaudert. Und
dieser Schauder soll die Gläubigen überfallen, wenn sie Euer Bild sehen.“
„Ich male anders, als all die
anderen Kleckser der Stadt. Ich halte nichts von den Gecken, die ihre Leinwände
mit Unsinnigem vollschmieren, weil sie hoffen, damit ihrem Glauben zu dienen.
Ich bin ...“
„... der Meister der Contarelli-Kapella,
Messer Caravaggio. Ich weiß. Eben deshalb möchte ich Euch beauftragen. Neu soll
es sein, Euer Bild, erschreckend neu und verstörend.“
Michele stand starr, den Blick wieder
auf den Boden gerichtet, sodass Nerina beinahe glaubte, er sei eingeschlafen,
aber plötzlich bewegte er sich mit geschmeidigen Bewegungen auf den Fremden zu,
die nur von der Schnelligkeit des Mönchs übertroffen wurde. Michele griff nach
der Kapuze, wollte sie ihm vom Kopf streifen, aber der Mönch hatte
offensichtlich eine Attacke dieser Art erwartet und glitt im selben Augenblick
durch die Tür. Er ließ den Beutel fallen, sodass die Münzen klirrend zu Boden
fielen und durch das Atelier rollten. Auf leisen Sohlen schlich der Mönch den
Aufgang hinab.
„Für die Kirche Santa Maria della
Scala in Trastevere, Messer Caravaggio. Und lasst Euch nicht allzu lange Zeit“,
rief der Mönch das Treppenhaus hinauf.
Michele stampfte mit dem Fuß auf
und warf dem Flüchtigen ein deftiges Schimpfwort hinterher. Dann bückte er sich
und begann die Münzen aufzusammeln, die noch über die Bohlen rollten.
„Nimmst du den Auftrag an,
Michele?“
Nerina wagte nicht, ihm ins Gesicht
zu sehen. Zu dicht lagen heute Schmerz und Glück beieinander. Zerrissen fühlte
sie sich von den widerstreitenden Gefühlen, die Lenas Tod und der unerwartete
Geldsegen in ihr ausgelöst hatten. Wie sehr mochte Michele darunter leiden?
„Wer war der Mönch? Doch sicher kein
Karmeliter von Santa Maria della Scala. Für einen barfüßigen Karmeliter hat er nämlich
zu viel geredet und zu viel Geld ausgegeben.“
Michele knurrte nur Unverständliches.
Nerina seufzte. „Es ist kein guter
Tag, Michele.“
„Es ist ein rätselhafter Tag. Oder
findest du es nicht merkwürdig, dass ich am selben Tag, an dem ich zur Leiche
Lenas gerufen werde, einen Auftrag bekomme, zu dem ich eine weibliche Leiche
als Vorlage benötige? Maria della Scala liegt im Armenviertel. Dem Kloster ist
doch ein Frauenhaus angegliedert. Und wer weiß, dass ich nur nach der Natur
malen kann?“
„Das bildest du dir ein, Michele“,
beschwichtigte ihn Nerina.
Michele brummte erneut etwas in
sich hinein und ging dann zum Tisch, auf dem der Krug mit dem Wein stand. Er
hob ihn zum Mund, stellte jedoch fest, dass er leer, war. Mit einer zornigen
Geste warf er ihn in die Ecke, wo er mit einem dunklen Poltern zu Boden fiel
und herum rollte, ohne zu zerbrechen.
„Nerina, spring hinunter zum
Fährplatz und sag Bernardo und den Fischern, sie sollen Lena heraufbringen. Wir
bahren sie bei mir auf.“
„Du willst ...?
Jetzt lachte Michele hart, und mit
einem bitteren Ton in der Stimme ergänzte er:
„Ich will die Hure als Vorlage für
das Bild nehmen! Sie ist die rechte dafür, niemand sonst. Das will doch der
Karmeliter. Hat sich Maria nicht dem Heiligen Geist hingegeben, obwohl sie mit
Josef verheiratet war? Hat sie damit nicht die Ehe gebrochen?“
Schweigen herrschte im Raum. Wie
versteinert stand Nerina da und starrte Michele an, der sich mit verzerrtem
Gesicht
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