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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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über den Tisch beugte, die Hände in die Platte verkrallt, als müsse er
einen unbändigen Zorn bewältigen.
    „Soll sie sprechen, meine Maria,
soll sie doch in diesem Hort des Schweigens, bei diesem stummen Orden ihr Leid
herausbrüllen!“
    „Michele, das ist Blasphemie!“
    „Ich lästere Gott? Ich? Und dieser
Mönch? Ist er nicht scheinheiliger als ich es je sein könnte?“
    Nerina entwich zur Tür hinaus, weil
sie fühlte, wie sehr sich in ihm Zorn und Ohnmacht stauten, und weil sie
befürchtete, Micheles Empörung könnte überquellen. Aber er hatte sich offenbar
in der Gewalt, wenn auch die Gelenke seiner Finger weißlich schimmerten. Seine
Stimme zitterte, als sie hinausschlüpfte.
    „Wenn du schon unten am Hafen bist,
bring Wein mit! Und jetzt eil dich!“, rief er ihr hinterher.
    Als sie unten auf die Gasse
hinaustrat, hörte sie, wie er oben schrie, anhaltend und voller Verzweiflung.
8.
    „Das Licht muss Eure Schädel
beleuchten, als hättet ihr alle einen Heiligenschein!“, schrie Michele.
    Er stürmte eine Leiter hinauf und riss
die Pfannen vom Dach, sodass die Fetzen der Strohmatte darunter in einem feinen
Regen aus Spelzen herab sprühten. Verständnislos sah Nerina ihn an.
    „Michele, lass uns eine Pause
machen. Die Modelle können sich kaum noch auf den Beinen halten!“
    Caravaggio warf die Pfannen, die er
aus dem Dach löste, achtlos durch die Öffnung und prüfte den Lichteinfall.
    „So ist es recht, so muss es sein!“
    Behände kletterte er von der Leiter
und stellte sich an die Staffelei. Aus einer bereitstehenden Flasche nahm er
einen tiefen Zug und musterte die Gruppe mit zusammengekniffenem Auge.
    „Michele!“, forderte Nerina.
    „Stör nicht!“, zischte Michele und
warf flüchtige Kohlestriche auf die Leinwand. „Sollen sie umfallen. Auf der
Straße stehen Hunderte von ihnen, die nur darauf warten, sich auf einem meiner
Heiligengemälde wiederzufinden.“
    Nerina seufzte. Als Michele sie
damals vom Jahrmarkt weggeholt hatte, vor drei Jahren jetzt, hatte sie darauf
gehofft, eine Karriere als Malerin zu beginnen. Mit ihren Pflegeeltern, die als
Schausteller in einem brüchigen Wagen durch die Lande zogen, war sie in
Männerkleidern auf der Piazza del Popolo gestanden und hatte zu ihren
selbstgezeichneten Tafeln mit den neuesten Ereignissen gesungen, von Morden,
Kometensichtungen oder Missgeburten. Michele war vor den Bildern gestanden und
hatte den Vater gefragt, wer sie gemalt hätte, und schon bald waren sie handelseinig
gewesen. Für einige Scudis hatte er sie in die Lehre genommen und ließ sie
Gebäudeteile malen und Farbflächen ausfüllen. Aber jetzt war sie zum Modell
herabgesunken, zu einem von vielen.
    „Die Leiche stinkt bereits,
Michele!“
    „Glaubst du, ich rieche es nicht?
Glaubst du, mir macht es nichts aus?“
    Seit Stunden hockten und standen
sie jetzt hier um Lena herum. Neun zerzauste, ältliche Gestalten mit Glatzen,
die allesamt Apostel vorstellen sollten. Michele hatte ihnen Tücher ausgeteilt,
damit sie diese als Togen über die Schultern werfen konnten. Lena lag als Maria
aufgebahrt in ihrer Mitte, halb entblößt, während sie selbst auf einem einfach
gezimmerten Stuhl vor Lena saß und als Maria Magdalena die Tote betrachtete.
Doch Michele hatte bislang nichts anderes getan, als die Gruppe drapiert, den
einen hierhin, den anderen dorthin gestellt, sich wieder an die Leinwand
begeben, einige flüchtige Linien darauf geworfen und sie alle wieder
umgestellt. Schließlich war er einer Eingebung gefolgt, auf die Leiter gesprungen
und hatte die Pfannen vom Dach gerissen. Ihre Vermieterin würde sich sicherlich
beschweren. Aber je stärker der Tag fortschritt, desto unerträglicher wurde der
Geruch, der Lena entströmte. Unter ihr begannen sich Lachen aus Tiberwasser und
Körperflüssigkeit zu sammeln. Nerina kämpfte gegen die Übelkeit und die
Fliegen, die sich in immer größerer Zahl einstellten, aber Michele schienen
Geruch und Schmeißfliegen nichts auszumachen. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß,
sein Kopf war hochrot vor Erregung und Anstrengung. Unermüdlich pendelte er
zwischen Staffelei und Arrangement, zog hier eine Hand zurecht, hob dort einen
Kopf, ließ einen Statisten dort die Hände über die Augen legen und hier das
Gesicht ganz verbergen, stellte jemanden hin und setzte einen anderen daneben.
Er skizzierte und arbeitete wie ein Besessener, brüllte seine Wünsche, bat säuselnd
und kreischte und weinte, wenn sich jemand bewegte. Er

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