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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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schien ihr gleichzeitig
nüchtern und berauscht wie selten.
    Aber sie war jetzt erschöpft und
wollte nicht mehr. Michele musste endlich ein Ende finden, seine Statisten
wenigstens mit etwas zu trinken oder einem Happen zu essen versorgen. Wie
sollte sie Michele verständlich machen, was sie wollte, wie ihm in seinem Furor
erklären, dass sie allesamt einer Pause bedurften, während er schier
unerschöpfliche Energien aufbaute.
    Nerina ließ den Kopf auf die Knie
sinken, erschöpft und verzweifelt, wie damals, als sich aus den Männerkleidern
ein Mädchen geschält und Michele sie entgeistert angestarrt hatte. Nur noch das
Hemd und ihr Amulett hatte sie am Leib getragen, und in seinem Blick hatte ein
Zweifel gelegen, als hätte er mit ihr einen Fehlkauf getätigt.
    Ein plötzlicher Schrei riss sie aus
ihrer Müdigkeit
    „Ja! Bleib so, bleib! Gut. Ich
hätte selbst darauf kommen müssen, Nerina. Nach rechts etwas mehr nach rechts, sodass
der Rücken direkt unterhalb ihres Gesichtes zu liegen kommt. Das Hautweiß
deines Rückens spiegelt das Gesichtsweiß Lenas. So muss es sein! So viel Demut,
so viel Buße.“
    Nerina rutschte in eine der Lachen
hinein, die der tropfende Körper Lenas gebildet hatte. Sie fühlte, wie ihr
langsam übel wurde. Tief versuchte sie durchzuatmen, aber der Kloß im Magen
begann sie zu würgen. Fliegen setzten sich auf ihre Lippen. Sie schnellte hoch,
hielt sich die Hand vor den Mund und rannte zur Fensteröffnung. Mit einer Hand
schob sie den Vorhang beiseite, dann brach es aus ihr heraus und ergoss sich
über die Brüstung hinaus auf die Straße. Die Passanten unten sprangen beiseite,
schimpften nach oben, und Nerina sah eine dunkel gekleidete Gestalt in einem
der Hauseingänge verschwinden.
    „Bist du von allen guten Geistern
verlassen? Was stehst du auf? Hab ich nicht gesagt, dass ich dich so sitzen
sehen möchte, so und nicht anders? Du hast alles verdorben!“
    Mit Schwung warf Michele seine
Kreide gegen die Leinwand und schrie Nerina an, die sich jetzt langsam zu ihm
umdrehte. Der bittere Geschmack des Erbrochenen lag noch in ihrem Mund. Ruhig
trat sie auf Michele zu und stellte sich vor ihn. Sie griff die Flasche und spülte
den Mund mit Wein. Den Rest spuckte sie Michele vor die Füße.
    „Was willst du, Michele? Den
Karmelitern beweisen, dass Maria eine Hure war? Uns mit dieser Leiche quälen?
Oder willst du mich demütigen, indem du mich als Maria Magdalena vor die Frau
setzt, mit der du gevögelt hast? Du kannst mich nicht einfach austauschen wie
deine sonstigen Geliebten, Michele. Niemand zwingt mich für ein Bild zu
posieren, auf dem man nicht einmal mein Gesicht sieht, auf dem ich freiwillig
den Blick auf eine deiner Geliebten freigebe. Auch du nicht!“ Nerina atmete
schwer und bedeckte die Nase mit dem Ärmel ihres Kleides. „Ich kann den
stinkenden Kadaver nicht mehr im Raum ertragen, Michele. Entweder schaffst du
ihn hinaus, oder ich gehe.“
    Michele starrte sie an. Dann sprang
er auf und lief zum Tisch hinüber, auf dem seine Pigmente standen. Er nahm eine
Palette und eine Holzkiste mit Farben, die er sich zurechtgelegt hatte, während
Nerina die Fischer gebeten hatte, Lena unbemerkt ins Atelier zu schaffen.
Beides stellte er neben die Staffelei. Dann eilte er in den Nebenraum und
schleppte Kerzenständer heran, die er ebenfalls neben sich aufbaute. Wieder
blickte er in die Runde, und Nerina, die ihn beobachtete, bemerkte, dass er
angewidert die Nase kraus zog. Sie war sich allerdings sicher, dass es nicht
der Geruch war, der ihn störte, sondern die lustlose Art, wie seine Modelle um
die Leiche herum standen. Hier fand er keinen echten Schmerz, keine
Verzweiflung, keine Trauer, sondern die gelangweilte Öde bezahlter Statisten.
    „Fort!“, schrie Michele so
plötzlich, dass Nerina zusammenzuckte. „Raus, raus, raus. Ich will niemanden
mehr sehen. Raus – und dass ihr mir morgen früh wieder auftaucht.“
    Die Modelle ließen es sich nicht
zweimal sagen. Sie hielten sich die Nasen zu und rafften ihre Togen und
Kleider. Dann begann ein rasches Umkleiden im Hintergrund und schon bald eilten
sie polternd zur Tür hinaus und die Treppe hinunter.
    Michele sah Nerina eine ganze Zeit
an, dann meinte er unvermittelt: „Verschwinde. Ich muss in Öl beginnen, bevor
es nicht mehr auszuhalten ist.“
    Micheles Stimme klang ruhig und
gefasst, als hätte ihn ihr Ausbruch besänftigt, aber in seinen Augen lag ein
Schimmer, der seine innere Erregung verriet.
    „Warum willst du

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