Das Vermächtnis des Martí Barbany
Vorgängen kam: Euer feuriger Graf unterhielt ehebrecherische Beziehungen mit der Burgherrin Almodis, der Tochter von Bernard und Amélie de la Marche. So etwas erschreckt uns nicht, obwohl es schon an sich schwerwiegend ist: Wir wissen, wie verführbar die menschliche Seele und wie schwach zuweilen das Fleisch sein kann. Was uns indes wirklich beunruhigt, sind die Folgen, die sich aus alledem möglicherweise ergeben, denn wir halten es für
sicher, dass Euer Herr in solch wahnsinniger Leidenschaft entbrannt ist, dass er seine Gattin verstoßen will, mit der er sich vor gerade erst einem Jahr vermählt hat, um eine Kebsehe – denn etwas anderes ist ja nicht möglich – mit der Frau einzugehen, die zweifellos zu seiner Konkubine würde. All das verhöhnt und beeinträchtigt die Christenheit, die sich ja stets im Spiegel ihrer Fürsten betrachtet. Wie Ihr gewiss versteht, ist die Angelegenheit ohnehin bedenklich, doch außerdem müsst Ihr die schwierige Beziehung der Gräfin Ermesenda zu ihrem Enkel und die Haltung berücksichtigen, die die Gräfin zweifellos einnimmt, wenn ihr Schützling Blanca von Ampurias verstoßen wird, denn sie hatte ja für diese Verbindung gesorgt. Und damit ist noch gar nichts über das Verhalten des Grafen Pons von Toulouse gesagt, den es gewiss bekümmert, dass man seine Gattin und damit seine Ehre rauben will. Niemandem würde ein Krieg zwischen Großmutter und Enkel nützen, denn das würde die Südflanke von Truppen entblößen und die Grenze den Feinden der Christenheit ausliefern. Eine besondere Erwähnung verdient die Haltung, die die einzelnen katalanischen Grafschaften einnehmen würden, wobei die einen für die Gräfin und andere für den Grafen kämpfen müssten, wozu sie sich aus unterschiedlichen – mehr oder weniger würdigen, rechtmäßigen oder heimlichen – Gründen veranlasst sähen, denn Ihr wisst ja: Im Trüben ist gut fischen. Wir halten es für sicher, dass sich Urgell, Cardona, Tost und Besalú für den Grafen entscheiden, während das Conflent, Carcassonne, Osona, Gerona und schließlich ganz Septimanien auf der Seite der Gräfin kämpfen.
Ich überlasse es Euren klugen Händen, eine solch dornenreiche Angelegenheit zu klären, und ich fordere Euch dringend auf, dass Ihr Euch zuerst mit Ramón Berenguer unterredet, um zu versuchen, ihn von einer derart verwerflichen und unsinnigen Neigung abzubringen, und falls Ihr ihn nicht überzeugt, sollt Ihr die Gräfin Ermesenda aufsuchen, eine Aufgabe, um die ich Euch nicht beneide, denn ich weiß genau, welch reizbaren Charakter sie hat.
Nun denn, mein guter Abt, macht Euch auf den Weg und stellt Euch der Herausforderung »mit ungeschützter Brust« – sagt man nicht so in Euren Landen? Glaubt mir, dass ich Euch nicht um Eure Gesandtschaft beneide, und nehmt als sicher an, dass ich Eure Nachrichten wie auf glühenden Kohlen erwarte. Meine Gebete werden Euch von Rom aus begleiten, und empfangt inzwischen eine brüderliche Umarmung von
Eurem Bruder in Christo
Papst VIKTOR II.
Guillem von Balsareny machte es sich in seinem Sessel bequem, und nachdem er sich mit dem Rücken der rechten Hand die ihm von der Stirn perlenden dicken Schweißtropfen abgewischt hatte, begann er das überraschende Sendschreiben noch einmal zu lesen.
5
Ramón Berenguer und Almodis
Toulouse, Dezember 1051
D er schwer bewaffnete Reiter hob die Hand. Seine Begleiter hielten sofort an. Die Pferde wieherten laut und kauten am Gebiss. Von einem der Posten, die den Eingang der Zugbrücke bewachten, rief eine Stimme: »Wer da?«
»Jemand, der einen langen Weg von Rom aus zurückgelegt hat und erwartet, dass ihn Pons III. von Toulouse empfängt, was er durch Rang und Herkunft zu verdienen glaubt. Ich bin Ramón Berenguer, der Graf von Barcelona, und Euer Herr erwartet mich.«
Ketten rasselten, das Holz knarrte, und dazu erklangen Rufe, als sich die schwere Brücke allmählich nach unten bewegte, während ein Trompeter oben auf der Mauer die Ankunft eines vornehmen Gastes ankündigte. Die Pferdehufe dröhnten auf dem Balkenwerk der Brücke und danach auf den Steinplatten des Innenhofs der Festung. Ein Stallknecht hielt den Hengst des Grafen am Zügel fest. Dieser sprang auf den Boden und befahl seinen Männern, das Gleiche zu tun. Mit dem ledernen Stulpenhandschuh klopfte er sich den Staub des Weges von den Beinröhren ab, die seine Schenkel schützten. Sogleich kam der Wachoffizier zu ihm. Seine Stimme wurde von dem Lärm übertönt, den die
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