Das Vermächtnis des Martí Barbany
den Juden beschäftigen, womit sie sich im Übrigen immer am besten unterhalten haben, desto weniger Zeit bleibt ihnen, um gegen etwas anderes zu protestieren.«
»Und dann?«
»Ihr verlangt, dass die Geldsumme und die Zinsen bezahlt werden. Dann sind sie gezwungen, für den Rechtsbruch und den angeblichen
Betrug zu haften, und sie werden jahrelang für die Habgier ihrer Führer büßen.«
»Wenn wir gut aus dieser Geschichte herauskommen, steht Barcelona in Eurer Schuld, mein Freund. Trotzdem plagt mich ein Zweifel. Ich möchte nicht, dass die Leute im Call zu Gegnern ihres Grafen werden: Es sind sehr einträgliche Untertanen.«
»Das werden sie nicht. Es gefällt ihnen viel zu sehr, Geschäfte zu machen und in Frieden leben zu dürfen, und das haben sie in Barcelona erreicht. Sie werden sich wie üblich auf endlose Erörterungen einlassen, und schließlich werden sie dem oder denen die Schuld geben, denen sie ihr Verderben zuschreiben. Denkt außerdem daran, dass niemals auch nur eine einzige Judengemeinde rebelliert hat: Sie sind fügsam wie Lämmer und seit den Zeiten des Titus daran gewöhnt, auf der Flucht zu sein.«
»Und wem, glaubt Ihr, werden sie die Schuld zuschieben?«
»Demselben, den wir anklagen werden: Baruch Benvenist, dem Dayan des Call . Er ist der angesehenste Jude. Wenn Ihr der Schlange den Kopf abhackt, ist das Problem aus der Welt geschafft.«
»Was bringt Ihr vor, um die Anklage zu stützen?«
»Herr, im Liber Judiciorum und auch in Euren Usatges ist gesetzlich klar festgelegt, dass ›der Geldverleiher, der seine Verpflichtungen nicht erfüllen kann, vor seiner Wechselbank aufgehängt wird‹. Nun denn: Verdient etwa der nicht den Galgen, der seinen Grafen mit frevelhaften Künsten täuschen wollte?«
Ramón Berenguer dachte nicht zweimal darüber nach.
»Setzt den Plan ins Werk.«
»Herr, ich rate Euch, dass wir behutsam vorgehen. Es ist nicht angebracht, übereilt zu handeln, und es darf auch nicht so scheinen, als hätte man nicht alle gesetzlichen Garantien eingehalten. Lasst ihnen Zeit. Es ist gut, wenn sie Vertrauen gewinnen und glauben, dass Ihr Euch mit dem Verlust abgefunden habt.«
»Seid diskret, Bernat«, bat der Graf.
»Herr, erinnert Euch, dass ich Euch vorgeschlagen habe, dieses Gespräch ohne lästige Zeugen zu führen.«
»Widmet Euch nun Euren Geschäften, und Ihr sollt wissen, dass Euch Euer Graf zu Dank verpflichtet ist, wenn er diese üble Geschichte gut übersteht.«
Montcusí bemühte sich, seinen dicken Leib zu krümmen, um so etwas
wie eine Verbeugung zustande zu bringen. Als er sich aus dem Raum zurückzog, fühlte er sich noch gewichtiger als beim Eintreten, denn er war sicher, seinen guten Ruf wiederhergestellt zu haben.
Die Würfel waren gefallen. Baruch Benvenist würde der Sündenbock für dieses Unheil sein, und die Juden müssten wie immer als die Hauptverantwortlichen für einen solchen Fehlschlag herhalten.
96
Batshevas Hochzeit
M an hatte die Chuppah am Brunnen aufgestellt, und der große Tisch für das Festmahl stand unter der riesigen Kastanie. Die Gäste trafen ein. Esther, die älteste Tochter, war im fünften Monat schwanger. Für die Feier war sie zusammen mit ihrem Mann Binyamin Haim aus Besalú gekommen. Während sich die beiden um die eintreffenden Gäste kümmerten, kleidete und kämmte Rivka ihre mittlere Tochter für den Ritus, wobei ihr die Dienerinnen halfen. Der Geldverleiher und der Domherr hatten sich im Arbeitszimmer zusammengesetzt. Darum hatte Baruch gebeten, der diesem Tag mit einem sonderbaren, halb glücklichen und halb traurigen Gefühl entgegensah. Dass er Batsheva mit einem guten Jungen verheiratete, den er seit dessen Bar-Mizwa kannte, erfüllte ihn mit Freude, doch die Abwesenheit seiner kleinen Ruth raubte ihm die Ruhe. Dazu trug auch das Schweigen des Grafen über die Angelegenheit mit den Maravedis bei. Allerdings gestand er sich ein, dass er sich immer sicherer fühlte, je mehr Tage vergingen, denn es war ja offensichtlich, dass seine Leute nichts mit diesem unseligen Vorfall zu tun hatten und dass das Gesetz für jeden Bürger Barcelonas galt, welchem Stand er auch angehörte. Hierüber sprach er mit Eudald Llobet, während er darauf wartete, dass man ihm mitteilte, alles sei für den Beginn der Zeremonie bereit.
»Ihr seht ja, lieber Freund, das Glück ist nie vollkommen: Ich bin bei Batsheva am glücklichsten Tag ihres Lebens und muss doch hinnehmen, dass meine kleine Tochter verbannt und fern von
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