Das Vermächtnis des Rings
bestehenden Fragmente zu systematisieren, wobei er teilweise auf alte Textformen wie die Annalen der Angelsächsischen Chronik zurückgreift. Dagegen steht der fünfte Band, The Lost Road and Other Writings (1987), in mancher Hinsicht für einen Neubeginn, nämlich den Versuch, einen Roman über eine Reise in der Zeit zu schreiben, in dem die mythische Vergangenheit Mittelerdes zur Parallele der Gegenwart wird – noch ganz in der Vorstellung befangen, dass es sich dabei um eine fingierte ›Mythologie für England ‹ handle. Auch dieser Versuch kam zu nichts, während das damit verbundene Projekt von Tolkiens Freund C. S. Lewis über eine Reise im Raum in der Trilogie gipfelte, die mit Out of the Silent Planet (1938; dt. Jenseits des Schweigenden Sterns, 1957) beginnt. Darüber hinaus zeigt sich bei Tolkien in dieser Phase auch eine gewisse Verfestigung des bisher Erreichten: die erste definitive Fassung des ›Silmarillion‹, die eine wesentliche Textgrundlage für die 1977 veröffentlichte Buchfassung bildet, und ein umfangreiches Wörterbuch seiner imaginären Sprachen, von einer Komplexität, die sich aus dem ›Herrn der Ringe‹ nur in Ansätzen erahnen lässt. Die Fiktion von Mittelerde hatte eine Eigengesetzlichkeit zu gewinnen begonnen, unabhängig von allen äußeren Bezügen.
In dieser Zeit etwa schrieb Tolkien The Hobbit (1936; dt. Der kleine Hobbit, 1957), und bald darauf sollte er sich an die Abfassung seines Hauptwerks, The Lord of the Rings (1954/55, dt. Der Herr der Ringe, 1970/71) machen.
Die ›Geschichte des Herrn der Ringe‹ nimmt in der ›History of Middle-earth‹ allein dreieinhalb Bände ein – mehr als der Roman selbst –, beginnend mit The Return of the Shadow (1988), The Treason of Isengard (1989) und The War of the Ring (1990). Es ist eine Geschichte von vielen tastenden Versuchen, von Sackgassen und Überraschungen, Pausen und Wiederholungen, und somit geradezu ein Lehrstück, wie sich ein einzelner Autor jene literarischen Strukturen und Motive, die seine zahlreichen Nachahmer leichthin kopierten, mühsam erarbeiten musste. Darin bestätigt sich zudem die These, dass auch dieses Buch zunächst als ein Kinderbuch begann – ein ganzes Kapitel wurde später vom Autor gestrichen, weil es zu viel vom typischen Hobbit-Humor enthielt, an dessen Wirkung er selber zweifelte – und im Laufe der Arbeit seinen Charakter änderte. Andererseits blieben einige entscheidenden Momente wie etwa das zentrale Kapitel ›The Shadow of the Past‹, in dem Gandalf der Zauberer dem Hobbit Frodo das Wesen des Einen Rings enthüllt, durch die ganzen Jahre hindurch, in denen Tolkien an dem Werk arbeitete, praktisch unverändert.
Eine Kuriosität für Sammler ist auch der neunte Band, Sauron Defeated (1992). Enthält er doch nicht nur den später gestrichenen Epilog zum ›Herrn der Ringe‹, sondern zudem ›The Notion Club Papers‹, einen unvollendeten Zukunftsroman – Science-Fiction wird man ihn wohl kaum nennen dürfen, da er eher in der Tradition eines G. K. Chesterton oder David Lindsay steht: die Protokolle eines Clubs aus dem späten zwanzigsten Jahrhundert, deren Mitglieder sich mehr und mehr mit der versunkenen Welt Numenor zu beschäftigen beginnen. Ein daran angefügter ›Bericht über die numenorische Sprache‹ ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil bis zu dieser Veröffentlichung über die Sprache der Menschen von Mittelerde kaum etwas bekannt gewesen ist, da dies im ›Herrn der Ringe‹ alles ins Englische umgesetzt worden war, und weil es die einzige definitive Beschreibung einer der fiktiven Sprachen von Mittelerde überhaupt ist – vermutlich nur deshalb, weil der Autor im Gegensatz zu den anderen nicht ein dutzend Mal revidiert hat.
Der zehnte Band, Morgoths Ring (1993), ist der erste von zwei Teilbänden, gefolgt von The War of the Jezvels (1994), die das Material zusammenfassen, welches im Anschluss an den ›Herrn der Ringe‹ geschrieben wurde. Damals begann sich Tolkien wieder mit den frühen Mythen und Legenden seiner Welt zu befassen, da es zu jener Zeit immer noch seine Absicht war, das ›Silmarillion‹ im Zusammenhang oder in der unmittelbaren Folge des ›Herrn der Ringe‹ herauszugeben. Er enthält zudem Texte über das Verhältnis von Eiben und Menschen im Rahmen der imaginären Welt, in denen der Autor über philosophische und religiöse Fragestellungen nachsinnt.
Der zwölfte und abschließende Band, The Peoples of Middle-earth (1996) beschäftigt sich
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