Das Vermächtnis des Rings
veranstaltet wurde, mit überwältigender Mehrheit zum wichtigsten Buch des 20. Jahrhunderts gewählt – von Lesern, nicht von organisierten Fans, wie später behauptet wurde. Im Rückblick aus dem Jahr 2001 bietet sich an dieser Stelle die Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme des kommerziellen Phänomens ›Tolkien‹ und den Versuch einer Wertung dessen, was Tolkien erreicht hat und was von ihm bleibt.
N ACHGELASSENE S CHRIFTEN
Nach seinem Tod ist von Tolkien mehr als dreimal so viel erschienen wie zu seinen Lebzeiten. Dies betrifft nicht nur The Silmarillion (1977; deutsch Das Silmarillion, 1978), jene von seinem Sohn Christopher zusammengestellte Sammlung von Kunstmythen und -legenden aus dem Ersten und Zweiten Zeitalter von Mittelerde, erdrückend mit einer Fülle von Namen und einem beinahe biblischen Pathos – was kein Hindernis dafür darstellte, dass dieses Buch zu einem Jahresbestseller wurde, Zeichen dafür, wie sehr der ›Herr der Ringe‹ eine ganze Generation von Lesern geprägt hat. Es gibt zudem neben weiteren kleineren Werken auch eine Sammlung, Unfinished Tales (1980; dt. unter dem etwas irreführenden Titel Nachrichten aus Mittelerde, 1983), mit Geschichten, die zum Teil zur Erzählreife des ›Herrn der Ringe‹ gelangten, aber fragmentarisch blieben – ein Werk, das ein deutscher Kritiker als ›das überflüssigste Buch des Jahres‹ betitelt hat, das aber dennoch bereits im ersten Jahr in England und den USA über 100.000 gebundene Exemplare verkaufte. Ergänzt wird das literarische Werk durch eine Sammlung von Vorträgen, The Monsters and the Critics and Other Essays (1983; dt. in Auswahl als Gute Drachen sind rar, 1984; auch erweitert, aber immer noch unvollständig als Die Ungeheuer und ihre Kritiker, 1987), und zwei philologische Editionen, die auf Notizen Tolkiens beruhen, The Old English Exodus (1981), herausgegeben von Joan Turville-Petre, und Finn and Hengest: The Fragment and the Episode (1982), herausgegeben von Alan Bliss. Wobei zumindest das letztere Werk, das bei Tolkiens Hausverlag A LLEN & U NWIN erschien, ohne den Namen des Autors sicherlich von minderem Interesse wäre, da der wissenschaftliche Beitrag darin, so originell er einst sein mochte, den Forschungsstand von gestern wiedergibt. Eine ähnliche Mischung von eher konventioneller Textauslegung und inspirierter Übersetzung findet sich auch in den bald nach Tolkiens Tod erschienenen Übertragungen der mittelenglischen Gedichte ›Sir Gawain & the Green Knight‹, ›Pearl‹ und ›Sir Orfeo‹ (1975).
Den Löwenanteil der postumen Veröffentlichungen macht jedoch die ›History of Middle-earth‹ aus, jene von Christopher Tolkien – der selbst Dozent für historische Sprachwissenschaft war wie sein Vater, die akademische Laufbahn aber aufgab, um sich ganz der Pflege des Nachlasses zu widmen – mit wissenschaftlicher Genauigkeit herausgegebenen Sammlung von Schriften und Manuskripten. Sie beginnt mit dem zweibändigen Book of Lost Tales (1983/1984), das die erste Fassung des ›Silmarillion‹ enthielt, wie sie gegen Ende des ersten Weltkriegs niedergeschrieben wurde. Nur diese beiden Bände, Das Buch der Verschollenen Geschichten, Teil 1 (1986) und Teil 2 (1987) betitelt, sind bislang auf Deutsch erschienen. Wenn es im Klappentext des zweiten Bandes freilich heißt, hier könne man ›zum letztenmal… die Stimme J. R. R. Tolkiens hören‹, und diese Geschichten seien ›ein letztes Geschenk an die Millionen Tolkien-Freunde‹, so betrifft dies nur die deutschen Leser. Im englischen Original hat die Sammlung insgesamt zwölf Bände erreicht.
Freilich ist der mangelnde Enthusiasmus des deutschen Verlegers in einem Punkt verständlich: Der dritte Band, The Lays of Beleriand (1985), enthält nämlich lange epische Gedichte, hauptsächlich aus der Zeit, als der Autor Professor in Leeds war, geschrieben zwar in moderner Sprache, aber in altertümlicher Versform. So ist ›The Lay of the Children of Hurin‹, die Geschichte des glücklosen Turin Turambar aus dem ›Silmarillion‹-Zyklus, im altenglischen Stabreim gehalten, ›The Lay of Leithian‹, die Geschichte von Beren und Luthien, in gereimten Couplets wie der mittelenglische ›Sir Orfeo‹. All diese Gedichtzyklen wurden nie zu Ende geführt, und sie stellen natürlich für die Übersetzung ein nahezu unüberwindliches Hindernis dar.
Der vierte Band, The Shaping of Middle-earth (1986), umfasst Tolkiens Versuche in der frühen Zeit als Oxford-Professor, die
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