Das Vermächtnis des Rings
versonnen. Tatsächlich funkelte die Klinge selbst im Zwielicht der Hütte so hell, dass es nicht schwer fiel, sich vorzustellen, sie sei wirklich inmitten der Sonne selbst gefertigt worden. Und es juckte Hogarth förmlich in den Fingern, das Pergamentröllchen zu öffnen, das an der Parierstange des Schwertes befestigt war… Aber er ließ es bleiben, auch diesmal.
IV.
Irgendwann ließ sich das Gefühl, er sei mit dem alten Mann nicht allein in der Hütte – nicht immer jedenfalls – kaum mehr leugnen.
Eine ganze Zeit lang hatte Hogarth sich mit einigem Erfolg eingeredet, er würde sich die Geräusche, die Schritte draußen vor der Tür seiner Kammer und die fremden, tuschelnden Stimmen nur einbilden. Wenn es irgendwo raschelte und trappelte, dann machte er Ungeziefer dafür verantwortlich, Ratten und Mäuse, auch wenn er bisher nirgendwo, in keinem einzigen Zimmer, auch nur auf Spuren von Ratten oder Mäusen gestoßen war.
Wie gesagt, eine Zeit lang genügten Hogarth diese Erklärungen, mochten sie auch fadenscheinig sein.
Bis er den Zwerg sah.
Der Zwerg selbst – ein Zwerg im Übrigen, wie er im Buche stand, von kleiner, gedrungener Statur und angetan mit einem erdfarbenen Mantel nebst zugehöriger Kappe – schien nicht minder erstaunt, dem Jungen zu begegnen.
Einen Moment lang sahen sie einander an, dann wieselte der Zwerg um die nächste Ecke, und Hogarth hörte, wie seine trappelnden Schritte sich entfernten und leiser wurden. Bevor sie vollends verklangen, eilte Hogarth hinterher und sah gerade noch, wie der Zwerg eine steinerne Treppe hinuntereilte. Und als der Junge an deren oberster Stufe anlangte, verschwand der Zwerg am anderen Ende just hinter einer Tür.
Eine Tür von jener Sorte, die Hogarth nie zuvor gesehen hatte, weil – und wieder war er sich dessen ganz sicher – sie vorher schlicht und einfach nicht da gewesen war.
Hogarth zögerte, wenn auch nicht lange, dann schlich er die Treppe hinunter, hin zu der Tür, und zog diese einen Spalt weit auf. Dahinter schloss sich ein Gang an, der anders aussah als die anderen Gänge in der Hütte. Seine Wände bestanden weder aus Brettern noch aus Stein, und es führten keine Türen davon ab. Nein, dieser Gang war in den blanken Erdboden hineingegraben. Hie und da stak Wurzelwerk aus Wänden, Boden und Decke. Die Luft war feucht und von würzigem Duft erfüllt. Nach Kräutern roch es und ein wenig nach Rauch… und es war nicht still in diesem Gang, der mehr ein Stollen war. Hogarth hörte, ganz leise nur und gewiss ganz weit entfernt, Stimmen und andere Geräusche, ein stetes Hämmern etwa, ein Schaben und Kratzen…
Und endlich war es um seine Geduld geschehen.
Nein, er lief nicht tiefer hinein in den Gang. Er machte kehrt, stieg die Treppe hinauf und suchte nach dem alten Mann.
Hogarth wollte ihm all die Fragen stellen, die ihm seit langem schon Löcher in die Zunge zu brennen drohten, und diesmal, so nahm er sich vor, würde er sich nicht mehr mit leeren Antworten abspeisen lassen. Wie er das bewerkstelligen wollte, wusste der Junge freilich nicht. Aber er war zuversichtlich, dass ihm schon etwas Passendes einfallen würde.
Er musste sich nichts einfallen lassen.
Er fand den alten Mann hinter einer jener Türen, die bisher stets verschlossen gewesen waren, und er ertappte ihn, wenn man so will, auf frischer Tat; bei dem eben, was der alte Mann bisher im stillen Kämmerlein getan hatte.
Er schrieb.
Der alte Mann saß über einen Tisch mit leicht schräg stehender Platte gebeugt und schrieb mit einer Feder, so schnell, dass die Feder heftig wippte, und er schrieb auf ein Stück Pergament von der Größe jener Röllchen, die an den Dingen in den Regalen festgemacht waren.
Hogarth blieb wie angewurzelt in der Tür stehen. Als stünde er vor einer gläsernen Wand. Aber der alte Mann ermunterte ihn einzutreten, ohne von seiner Schreibarbeit aufzusehen.
Von Stund an änderten sich die Dinge in der Hütte. Und Hogarths Leben.
V.
Hogarth lernte zu verstehen. Er tauchte gleichsam ein in die Geheimnisse und das Wesen dieses Ortes. Und dazu bedurfte es keiner erklärenden Worte des alten Mannes. Hogarth verstand und wusste, was zu tun war und wie alles geschah.
Seine Aufgaben beschränkten sich nicht mehr auf Putzen und Ordnung halten. Er durfte dem alten Mann zur Hand gehen bei dem, was er bis dahin hinter verschlossenen Türen getan hatte. Er lernte die Zwerge kennen (wenn auch nicht mit Namen, denn Namen
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