Das Vermächtnis des Rings
noch nicht sicher, aber zum ersten Mal seit Monaten war dieses nagende Gefühl in seinem Bauch verschwunden. Er fürchtete allerdings vage, der König könne jeden Augenblick ein paar Drachentöter herbeizaubern und ihn vertreiben, bevor er von den Köstlichkeiten gekostet hätte, die ihm in der Luft in die Nase gestiegen waren.
»Ein wenig Pastete, ein wenig Kuchen – das wäre eigentlich ein Gebot der Gastfreundschaft«, sagte er in beleidigtem Tonfall. »Es ist nicht nötig, einen… einen dieser… Schwertfuchtler herbeizurufen, denn ich bin gleich wieder weg.« Missmutig schnaufte er, wobei ihm versehentlich eine kleine Stichflamme aus dem Mund schoss und den Stoff des umgerissenen Pavillons in Brand setzte, ohne dass er es merkte. »Nachdem ich mich ein wenig gestärkt habe.«
Der Pavillon brannte munter nieder, und ein hässliches Brandloch fraß sich in den gepflegten grünen Rasen. Melinda klammerte sich instinktiv fester an Jeremys Arm. Der dicke, weiße Turm mit Haube bebte vor Angst wie Wackelpudding, und Prinz Adalbert bewegte seine Lippen wie im Gebet und flüsterte unablässig »Das ist nur ein böser Traum, das ist nur ein böser Traum« vor sich hin.
Guy von Gilesbury versuchte sich mit der ohnmächtigen Jolanda im Arm unauffällig zurückzuziehen. Zentimeterweise bewegte er sich dem Rand des Schachfeldes zu, wo auf einer Bank unter seinem Umhang auch sein Schwert lag. Nicht, dass er daran dachte, das Schwert könne ihm in dieser Situation irgendwie nützlich sein. Aber wenn es ihm gelänge, von der Bank bis zu dem großen Busch zu schleichen, der wie ein Schwan gestutzt war, so könnte er von da vielleicht unbemerkt zum nächsten Busch huschen und sich in Sicherheit bringen…
Der König war um den Mund herum ganz weiß geworden. Er glaubte, Bruno habe das Feuer absichtlich gelegt, um ihn daran zu erinnern, dass mit ihm nicht zu spaßen war.
Nun hatte König Feodor keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Drachen. Er erinnerte sich nur dunkel an das, was über Drachen in den Büchern stand, die er als kleiner Junge gelesen hatte. Im Gedächtnis geblieben war ihm die Zeichnung eines riesenhaften Apparates aus Eschenholz und Schmiedeeisen, der von sechzehn Pferden gezogen wurde und mit dessen Hilfe ein Drache gefangen und das Feuer in seiner Brust erstickt werden sollte. ›Eine klassische Drachenfalle nach Professor Florizell‹, hatte die Bildunterschrift gelautet. ›Als Köder benutzte man eine Jungfrau oder besonders kostbaren Schmuck.‹ (Die abgebildete Jungfrau war der Hauptgrund gewesen, warum sich König Feodor das Bild so oft angeschaut hatte.) Aber da er leider nicht im Besitz einer solchen Drachenfalle und besagter Professor schon vor vielen Jahren verstorben war, nutzte ihm diese Erinnerung weniger als nichts.
»Wir können verhandeln«, sagte er beschwichtigend zu Bruno. »Ich denke, es wird mir trotz aller Ausgaben in diesem Jahr möglich sein, einen Sack Gold mehr aufzutreiben, aber vorher solltest du die Leute hier gehen lassen…«
»Wer spricht denn hier von Gold? Ich sagte Rebhuhnpastete«, erwiderte Bruno und trat mit dem Hinterlauf das Feuerchen zu seiner Linken aus. Besorgt spähte er über die Festwiese, die sich erstaunlich schnell entvölkert hatte.
Gäste wie Bedienstete hatten hinter den Burgmauern Schutz gesucht, einige hatten sich hinter Bäumen und im Gebüsch versteckt, ein Bratschenspieler aus dem Tanzorchester war samt Instrument auf eine große Buche geklettert. Überall hingeworfene Sonnenschirme und umgestoßene Stühle. Weit und breit war kein Drachentöter zu sehen. Allerdings konnte man nicht wissen, wer alles in der Burg lauerte und nur darauf wartete, sich auf ihn zu stürzen.
»Ich habe seit Ewigkeiten keine Rebhuhnpastete mehr gegessen«, fuhr er dennoch fort. »Sehr bekömmlich, nicht so schwer verdaulich wie… rohes Menschenfleisch, beispielsweise.«
»Denk nicht, dass du mir drohen kannst«, sagte König Feodor, obwohl er sich vor Angst kaum noch auf den Beinen halten konnte. »Diesen Überfall wirst du noch schwer bereuen. Geiselnahme ist keine gute Basis für Verhandlungen. Ein Sack Gold war ein gutes Angebot, viel höher kann ich nicht mehr gehen.«
»Geiselnahme? Überfall?«, wiederholte Bruno ärgerlich, und wie immer, wenn er ärgerlich war, spuckte er winzig kleine, bläuliche Flammen in der Gegend herum, die wie Feuerwerkskörper durch die Luft sausten und nach ein paar Sekunden mit einem leisen Zischen verpufften. »Ich bitte lediglich
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