Das Vermächtnis des Templers
war es nötig gewesen, sich mit viel Kraft gegen einen bronzenen Löwenkopf zu stemmen, der sich inmitten eines von Drachenornamenten umschlungenen Rundschildes befand, das von der zottigen Mähne des Löwen fast bedeckt wurde. Das Tier blickte, die Ohren gespitzt, den Betrachter an, als wolle es ihm deutlich machen, dass dieses Haus gegen alles Böse gewappnet war.
Im Inneren des Doms ließen die großen Fenster das erste Licht des Tages herein. Johannes hörte, wie seine leisen Schritte im Raum Widerhall fanden. Er begab sich nach links in das nördliche Seitenschiff und bemerkte dort einen kleinen Schrein, wie er zur Aufbewahrung von Reliquien genutzt wurde. Darin befand sich die vergoldete Büste einer Frau, die ebenmäßige Gesichtszüge besaß und noch sehr jung sein musste. Ihr Haar war unter einem Kopftuch verborgen, das von einem Stirnband gehalten wurde. Johannes kannte Abbildungen der Maria mit dem Kind. Doch hier war eine junge Frau dargestellt, die allein durch ihre Schönheit wirkte und ihn ganz in ihren Bann zog. Sollte es Maria Magdalena sein?
Dann hörte Johannes Geräusche aus dem Chorraum. Offenbar wurde er bereits erwartet. Am Altar in der Vierung bemerkte er den Bischof. Ohne Zögern schritt er auf den Mann zu und kniete vor ihm nieder. Er spürte, wie sich eine Hand auf sein Haupt legte. Dann hörte er die Stimme des Bischofs, der in einem kurzen Gebet für den Reisenden den Segen Gottes und die Hilfe der Engel und der Heiligen herbeirief. Unmittelbar darauf erhielt Johannes von dem Messdiener einen Leinensack mit Proviant und seine beiden Wasserflaschen, die neu gefüllt waren.
«Gehe hin, Johannes von Loccum. Möge der Segen Gottes dich allzeit behüten.»
Der Bischof umarmte den jungen Mönch, wandte sich dann dem Altar zu, kniete nieder und versank in ein stilles Gebet.
Johannes hätte ihm gerne zum Abschied seinen Dank ausgesprochen. Doch es verbot sich, den Bischof bei einer heiligen Handlung zu stören.
Wenig später hatte er durch das Stadttor den Hafen erreicht. Ein junger Mann kam auf ihn zu und sprach ihn an.
«Ihr müsst Johannes von Loccum sein.»
«So ist es», antwortete der. «Ihr seid mein Begleiter nach Bremen?»
«Mein Name ist Martin. Ich stehe in den Diensten Ludwigs des Kaufmanns. Folgt mir. Das Boot ist bereit.»
Unmittelbar am Wasser lag ein Kutter, der mit Getreidesäcken beladen war. Die beiden Männer sprangen an Bord. Johannes verstaute all seine Habe so, dass während der Fahrt nichts verloren gehen konnte. Dann stieß der Schiffer das Boot mit dem Stechpaddel vom Ufer ab. Er hatte das Segel nicht gesetzt, denn offenbar war ihm die Strömung flussabwärts völlig ausreichend. Tatsächlich nahm der Kutter bald Geschwindigkeit auf. Das Stechpaddel diente dem Schiffer jetzt dazu, den Lastkahn so zu steuern, dass er möglichst in der Mitte des Flusses schwamm, um die Strömung gut auszunutzen und Hindernisse, die vom Ufer in den Fluss ragten, zu umfahren. Nach etwa einer Stunde erkannte Johannes zur Linken den Ort Petershagen. Da waren das steinerne Gutshaus, das vom Fluss aus gesehen mehr einer kleinen Festung glich, und einige weitere Anwesen, die wohl seiner Versorgung dienten.
Von nun an reiste er durch unbekanntes Land.
Mit der Zeit erwies sich die Fahrt als anstrengend. Der schmale Kahn schwankte hin und her. Johannes wurde bald flau im Magen, weil er dies nicht gewohnt war. Zudem saß er eingeklemmt inmitten der Getreidesäcke und konnte kaum die Beine ausstrecken. Er erinnerte sich, gelesen zu haben, dass der heilige Bonifatius noch im hohen Alter große Strecken mit dem Schiff bewältigt habe. Das kam ihm nun etwas fraglich vor.
Gegen Mittag steuerte der Schiffer den Kahn an Land und gönnte sich und den Reisenden eine kurze Pause. Johannes nutzte die Zeit, um etwas auf und ab zu gehen und die Verspannungen in den Beinen zu lösen. Dann ging die Reise weiter.
Martin, der Kaufmannsgehilfe, erwies sich als anregender Gesprächspartner. So erfuhr Johannes, dass die heutige Fahrt nichts Ungewöhnliches war. Regelmäßig brachten Binnenschiffe Waren flussab- und flussaufwärts. Ein Dutzend von ihnen erreichte täglich die Stadt Minden. Meist wurde Getreide, Wein, Salz und Tuch transportiert. Ein Lastkahn konnte etwa die Ladung eines Ochsenwagens aufnehmen. Von Minden nach Bremen fuhr das Schiff einen Tag, zurück brauchte es mit Hilfe der Segel bei günstigem Wind die dreifache Zeit.
Die Fahrt wurde bald unruhiger. Ein kleiner Fluss mündete in die Weser und
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