Das Vermächtnis des Templers
warme Mahlzeit auf dem Hauptdeck. Das dazu gereichte Wasser schmeckte frisch. Während die Stunden vergingen, passierte die Kogge Insel um Insel. Johannes ließ sich ihre Namen nennen, vergaß sie aber bald wieder, denn eine folgte der anderen, und aus der Ferne betrachtet unterschieden sie sich kaum.
In der Nacht hatte Johannes Schwierigkeiten einzuschlafen. Es war nicht so sehr das Schaukeln, das ihn beunruhigte, obwohl die See unruhiger geworden war. Ungewohnt war ihm das ununterbrochene Knarren und Ächzen des Holzes, das Klatschen und Krachen der Wellen gegen den Rumpf des Schiffes. Und das Geraschel hier und dort kam nicht von den Mitreisenden, sondern offensichtlich von Ratten. Tatsächlich war am nächsten Morgen unter Deck der Gestank von Rattenurin bemerkbar. Das Wasser, das gegen Mittag ausgegeben wurde, schmeckte faulig. Gegen Nachmittag kam Sturm auf, der das Schiff so stark bewegte, dass man von nun an immer festen Halt suchen musste, wenn man sich an Deck befand.
Am dritten Tag folgte die Kogge unmittelbar dem Verlauf des Festlands. Hatten die vorgelagerten Inseln dem Betrachter mitunter eine Abwechslung geboten, so blieb die Küste ein gleichmäßiger Streifen. Von nun an trank Johannes aus seiner eigenen Flasche, weil er dem inzwischen mit Wein gestreckten Wasser aus der Bootstonne nicht mehr trauen wollte. Einige von denen, die davon tranken, vertrugen es nicht, und so kam es am Bug, wo zu beiden Seiten des Schiffsschnabels Abtritte eingerichtet waren, zu bösen Auseinandersetzungen, weil diese Latrine nun fast ständig benutzt wurde. Gegen Abend beruhigte sich der Sturm. Johannes gelang es zum ersten Mal auf dieser Fahrt Schlaf zu finden.
Am Mittag des sechsten Tages näherte sich die Kogge dem Festland. Johannes beobachtete, dass der Navigator eine Flussmündung ansteuerte. Am Nachmittag bewegte sich das Schiff mit fast vollständig gerefften Segeln bei ruhiger Fahrt auf einem Fluss mit dem Namen Reve. Der Schiffseigner hatte erzählt, dass vor vielen Jahrzehnten eine Sturmflut die Meeresbucht so aufgerissen hätte, dass eine Fahrrinne für größere Schiffe entstanden sei.
Am Abend erreichten sie Brügge. In der Dunkelheit konnte Johannes die Mauer mit den Wehrtürmen und die dahinter liegenden Häuser und Kirchen mehr erahnen als sehen. Einzig am Ufer, das sie nun erreichten, sorgten Leuchtfeuer für Orientierung, so dass der Navigator die Kogge sicher in den Hafen bringen konnte. Dort lagen bereits neun weitere große Schiffe vor Anker.
Endlich konnte Johannes wieder festen Boden betreten. Zwar war er noch nie in so kurzer Zeit so weit gereist, aber die Fahrt war alles andere als angenehm gewesen. Der Schiffseigner hatte ihm den Rat gegeben, das Hospital im Süden von Brügge aufzusuchen und sich am nächsten Tag im Hansekontor zu melden. Er wies einen seiner Bootsmänner an, dem jungen Mönch den Weg dorthin zu zeigen. So gelangte Johannes kreuz und quer durch die dunklen, um diese Zeit nahezu unbelebten Gassen zum Hospital der Benediktiner.
Die Mönche dort nahmen ihn freundlich auf, gaben ihm zu essen und zu trinken, gestatteten ihm, sich am Hospitalsbrunnen zu waschen, und wiesen ihm ein Bett im Schlafsaal zu. Er stellte dort seine Habe unter und begab sich zur Liebfrauenkirche auf der gegenüberliegenden Seite der Reve. Trotz der Dunkelheit blieb ihm nicht verborgen, dass dieses mächtige Bauwerk neue und alte Architektur in sich vereinte. Hier nahm er an der Abendmesse der Mönche teil, zu erschöpft, der Liturgie wirklich zu folgen oder den Raum und die Menschen um ihn herum bewusst wahrzunehmen. Als er zum Hospital zurückgekehrt war, suchte er sein Bett auf, ein Bett, das nicht hin und her schwankte, und schlief sofort ein.
In der Frühe wurde Johannes von jenem Bootsmann geweckt, der ihn schon gestern begleitet hatte. Wenige Minuten später schritten sie bereits durch die Gassen Brügges, die noch immer im Dunkeln lagen. Bald erreichten sie ein großes Steingebäude und betraten es.
Der Schiffseigner aus Bremen erwartete ihn. Er erwies sich als zuverlässig, hatte für Johannes ein Schiff aufgetan, das noch an diesem Morgen in See stechen, Tuch von Brügge nach La Rochelle bringen und mit Salz und Wein von dort zurückkehren sollte. Allerdings würde dieses Schiff nicht die Seine hinauffahren. Man könnte Johannes lediglich an der Küste von Fécamp an Land bringen. Anderenfalls müsste er mehrere Wochen warten, bis wieder eine Kogge diese Richtung nähme.
Johannes zögerte
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