Das Vermächtnis des Templers
machte ein Zeichen, ihm zu folgen. Gemeinsam durchschritten sie die schwere Holztür und gelangten über eine Steintreppe zum ersten Stock in ein großes Zimmer. Dort ließ der Wächter den reisenden Mönch allein. Johannes hatte Zeit, sich umzusehen. Er erblickte vor sich einen großen Eichentisch. Dahinter befand sich ein ebenso ausladender Holzsessel, fast einem Thron ähnlich. An der Wand zur Rechten bemerkte Johannes einen Bücherschrank. Gern hätte er hier etwas genauer hingesehen, aber er besann sich, denn ein solches Verhalten wäre unhöflich gewesen. Zur Linken gewährten zwei große Fenster einen Blick auf die Nordseite des Doms. Johannes blickte hinaus, musterte die Fassade und fragte sich, wie lange diese Steine wohl schon an diesem Ort standen. Unbedingt musste er das Innere der Kirche erkunden, um mehr über den alten römischen Stil zu erfahren. In diesem Moment hörte er, wie sich hinter ihm die Tür zum Zimmer öffnete. Johannes wandte sich um und fiel vor dem Eintretenden auf die Knie, um ihm die nötige Ehrerbietung zu erweisen.
«Johannes von Loccum, erhebt Euch», hörte er eine feste Stimme.
Er küsste den Ring des Bischofs und richtete sich auf. Zu seiner Überraschung sah er sich einem recht jungen Mann gegenüber, der höchstens dreißig Jahre alt sein konnte. Dieser Mann war von schlanker, hoher Gestalt und trug die rote Amtstracht, ein Brustkreuz, jedoch keine Kopfbedeckung. Er musterte ihn mit hellwachen Augen.
«Ihr seid der Mönch, der eine lange Reise antreten will», stellte er fest.
«So ist es, Eure Eminenz. Ich überbringe Euch die allerherzlichsten Grüße des Abts von Loccum.»
«Ich danke Euch», antwortete der Bischof kurz. Er ging zum Fenster und blickte auf den großen Domhof.
«Das Schreiben Eures Abtes wurde mir überbracht. Ihr scheint ein begabter Mann zu sein.»
Er schwieg einen Moment. Dann wandte er sich wieder zu Johannes, musterte ihn erneut aufmerksam.
«Und Ihr scheint ein mutiger Mann zu sein, Johannes von Loccum. Nun, die Ritter vom Tempel werden Euch Ungewöhnliches zutrauen. Was in meiner Macht steht, um Euch zu helfen, will ich gern tun.»
«Ich danke Euch, Eminenz», sagte Johannes. Zu gerne hätte er gewusst, was in dem Brief über ihn und seine Reise geschrieben stand und welche Rolle der Bischof dabei einnehmen sollte. Doch er besann sich, dass es unpassend wäre, danach zu fragen.
«Meine Möglichkeiten sind allerdings gering» sagte der Bischof. «Wir werden uns an Männer wenden, die Euch wirklich hilfreich sein können.»
«Die Stimme des Bischofs von Minden wird von großem Gewicht sein», sagte Johannes.
«Ihr überschätzt meine Macht. Noch vor hundert Jahren war der Bischof in dieser Stadt die uneingeschränkte Autorität. Das ist heute nicht mehr so. Reiche Bürger haben an Einfluss gewonnen. Sie bestimmen mehr und mehr, was in dieser Stadt geschieht.»
Er lächelte kurz.
«Aber das hat manchmal auch sein Gutes. Sie sind sehr zugänglich, wenn sie meinen, einen Vorteil zu erlangen. Lasst uns aufbrechen, Johannes. Wir besuchen einen dieser Bürger!»,
Augenblicke später hatte der Bischof gemeinsam mit Johannes die Kurie verlassen. Begleitet von zwei Wachen erreichten sie den Markt.
Noch nie hatte Johannes ein solch ungeordnetes Menschengetümmel gesehen. Als Erstes erblickte er auf diesem Platz eine unüberschaubare Menge offener Verkaufsstände, die mit Zeltplanen überdacht waren, wohl um die Händler vor Regen und Sonne zu schützen. Er konnte auf den ersten Blick nicht im einzelnen erkennen, womit gehandelt wurde, aber allein die Menge der Stände und die Zahl der Menschen, die hier emsig hin und her liefen, war überwältigend. Das geschäftige Treiben vollzog sich in einer Lautstärke, wie sie Johannes bislang noch nicht vernommen hatte. Unter den Käufern erblickte er Frauen und Männer, Kinder und alte Leute, Geistliche und wohlgekleidete Bürger. Bald erkannte er, dass auch aus den Häusern heraus, die den Marktplatz umgaben, eifrig gehandelt wurde. Das waren durchweg zweistöckige Häuser, in denen sich im Erdgeschoss Läden oder Werkstätten befanden.
Dem Bischof war die Verwunderung und Hilflosigkeit des Mönchs aus Loccum nicht verborgen geblieben.
«Wenn Ihr vorhabt, in die weite Welt zu ziehen, dann solltet Ihr Euch an diesen Anblick gewöhnen», sagte er.
«Wie meint Ihr das?», fragte Johannes zurück.
«Jede große Stadt hat einen Markt wie diesen. Die Städte leben vom Handel. Manche haben sogar mehrere Märkte, auf denen
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