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Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Titel: Das Vermaechtnis des Will Wolfkin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Knight
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ja nicht verstehen«, sagte er. »Ich habe eigentlich auch nicht zu euch, sondern zu euren kleinen Tieren gesprochen.«
    Egil setzte sich in den Dreck und wir taten es ihm nach.
    »Unseren was?«, sagte ich.
    »Seht mal eure Hände an«, sagte Egil, legte sich längelang auf die schmutzige Erde und schaute zum Eisdach empor. Ich wartete einen Moment, dann betrachtete ich meine Handflächen. Der rote Wolf, das Clanzeichen in meiner rechten Hand, bewegte sich! Er streckte den Kopf bis zum Gelenk meines Zeigefingers, ließ den Schwanz über meinen Daumenansatz streifen, setzte sich auf die Hinterbeine und heulte lautlos. Ich war starr vor Staunen.
    Als ich aufblickte, sah ich Emma genauso ungläubig in ihre Hand starren.
    »Toby!«, rief sie. Ich ging zu ihr und sah, dass der Wolf in ihrer Handfläche durch eine dunkle Landschaft mit niedrigen Hügeln im Hintergrund rannte. Die Bilder in Emmas Handflächen waren mehr als nur scharfe, detailgetreue Projektionen: Sie waren lebendig in einer stummen Welt. Entgeistert sahen wir erst einander, dann Egil an.
    »Was passiert da, Egil?«, fragte ich. Wir streckten unsere Hände so weit wie möglich von uns.
    Egil richtete sich auf und lächelte.
    »Ha! Und ihr habt gedacht, ich hätte keine Ahnung, wozu eure Tattoos da sind! Da wart ihr aber ganz schön auf dem Holzweg, wie?«
    »Egil, das ist doch vollkommen unmöglich!«, sagte ich und sah zu, wie sich der Wolf in meiner Hand setzte und seine Vorderläufe leckte.
    »Das Jerlamar und mein Großvater haben diese Wölfe aus euren Seelen geholt und auf eure Haut gebannt«, erklärte Egil, während er mit einem Dorn zwischen seinen Zähnen stocherte. »Ich habe nur den zweiten Schritt getan, nämlich: eure Clanzeichen lebendig gemacht. Das ist die Aufgabe eines Lehrers. Und geweckt habe ich sie mit den Worten, die ich hinter dem Felsen gesprochen habe. Ihr habt diese Worte nicht gehört und ihr hättet sie sowieso nicht verstanden. Richtig interessant ist allerdings erst der dritte Schritt … und weil er interessant ist, ist er auch schwierig.«
    Der Wolf in meiner Hand war merklich langsamer und weniger aktiv als Emmas Wolf. Mir fiel jetzt erst auf, dass meine Handfläche juckte, seit Egil seinen Unterricht begonnen hatte.
    »Die sehen ja … Egil, die sehen ja richtig echt aus!«, rief Emma.
    »Sie sind echt«, sagte er.
    »Und … so schön!«, ergänzte Emma.
    »Ja, sie sind wunderschön«, bestätigte er und sah Emma kurz an. »Und sie machen dir doch keine Angst, nicht wahr, Emma?«
    Emma hörte ihn nicht, so versunken war sie in den Anblick.
    Ich ballte die Faust und öffnete sie wieder, aber der Wolf war immer noch da. Als ich es wagte, mit dem Finger darüberzustreichen, schnappte er sogar danach. Ich fuhr erschrocken zurück und Egil kicherte. Dann stellte er sich zwischen Emma und mich und musterte eingehend unsere Handflächen.
    »Mmmmm«, machte er. »Emmas Wolf ist sehr lebendig, ich gebe ihr fünf Punkte. Deiner, Toby, sieht ein bisschen so aus, als wäre er noch nicht ganz da. Ich denke, mehr als zwei Punkte kann ich dir dafür nicht geben. Nimm’s nicht krumm, aber solche Dinge entscheidet das Jerlamar.«
    Er kratzte an einem Luftknoten, dann drehte er uns den Rücken zu und rülpste vernehmlich.
    »Und der dritte Schritt? Wie ist der dritte Schritt?«, fragte Emma kribbelig vor Aufregung.
    »Der dritte Schritt ist ziemlich kompliziert«, sagte Egil. »Dabei nimmt der Wolfanteil in euch zu, und der Teil, der nicht Wolf ist, wird schwächer – bis ihr am Ende ganz und gar zum Wolf geworden seid.«
    Ich sah Emma an, besorgt, wie sie reagieren würde, aber anscheinend konnte sie jetzt nichts mehr von dem tänzelnden Wolf in ihrer Handfläche ablenken. Egil warf ihr einen forschenden Blick zu und schien insgeheim zufrieden.
    »Okay, Kinder, genug Spaß für heute, ihr könnt gehen.«

    In dieser Nacht fand ich kaum Schlaf. Immer wieder musste ich nachsehen, ob sich das verrückte Ding in meiner Handfläche bewegte. Manchmal, wenn ich hinschaute, heulte der rote Wolf, aber meistens schlief er. Je weiter die Nacht voranschritt, desto schläfriger wurde er. Ich konnte ihn nur dann zum Laufen bringen, wenn ich meine Hände dicht an das Feuer hielt. Die Hitze vom Holz der Heiligen Eiche schien ihn wieder aufzuwecken.
    Ich wunderte mich, dass Emma an diesem Abend nicht kam. Aber hören konnte ich sie die ganze Nacht: Sie lachte wie ein Kind, das ein neues Spielzeug geschenkt bekommen hat. Es ärgerte mich, dass ihr Wolf

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