Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
er sich mit dem Rücken zur Felswand über die zweite Engstelle tastete, den Blick fest auf den Boden geheftet. Als er mit einem
Fuß leicht abrutschte, löste sich der Untergrund und Steinchen kullerten den steilen Hang hinunter. Kaum hatte er die Engstelle hinter sich, rannte er weiter, immer dem Gipfel entgegen.
Kurze Zeit später weitete sich der Weg zu einer natürlichen breiten Treppe. Calvyn hatte keine Ahnung, wie weit es noch bis zum Gipfel war, doch da die Luft vor magischer Energie nur so flirrte, vermutete er, dass er bald da sein musste. Vorsichtshalber zog er sein Schwert, hielt es vor sich und sprang die Stufen hinauf. Doch schon nach gut zehn Stufen hatten seine Beine sämtliche Kraft verloren, und Calvyn fiel es schwer, den Fuß auf den jeweils nächsten Felsvorsprung zu setzen.
Die Felsentreppe schien kein Ende zu nehmen. Nach einer Weile steckte Calvyn das Schwert wieder zurück und stützte sich mit den Händen ab. Am Gipfel angekommen, war er so auf die jeweils nächste Stufe konzentriert und körperlich dermaßen erschöpft, dass er Selkor erst bemerkte, als er schon fast vor dem Thron stand. Calvyn hatte Glück, denn auch Selkor war völlig in seine Aufgabe vertieft. Andernfalls hätte ihn der Magier wohl leicht vernichtet.
Calvyn hatte zunächst nur Augen für den riesigen Thron. Eine ganze Armee von Steinmetzen musste Monate beschäftigt gewesen sein, solch ein gewaltiges Gebilde zu schaffen. Der Thron war über und über mit Mustern verziert und die Armlehnen wurden von zwei gemeißelten Panthern im Sprung gebildet. Doch dann zog der shandesische Magier Calvyns Aufmerksamkeit auf sich.
Dort, vor dem Thron, stand Selkor mit ausgestreckten Armen. Aus seinen Handflächen strömten magische Kraftwellen. Sie schienen sich in einer Art Feuerball zu sammeln, der direkt vor ihm in der Luft schwebte. In jeder nur vorstellbaren
Farbe schimmernd, floss die vereinte Kraft aus diesem Ball in einen Wirbel.
Calvyn starrte hilflos den Kraftfluss und den Wirbel an. Warum musste ausgerechnet er Selkor Einhalt gebieten? Er, der nicht einmal ein ausgebildeter Magier war, stand mutterseelenallein einem Widersacher gegenüber, der viele Jahrzehnte mit dem Studium der Magie verbracht hatte. Was, um Himmels willen, sollte er jetzt tun? Sollte er versuchen, den magischen Kraftstrom mit dem Ring des Nadus zu unterbrechen? In dem Strudel sammelte sich eine unvorstellbare Kraft, und Calvyn vermochte nicht zu sagen, was geschehen würde, wenn er eingriff. Magie von dieser Größenordnung zu stören, konnte ähnlich verheerende Auswirkungen haben wie das Ereignis, das einst Terachim zu einer Wüste gemacht hatte. Er konnte Selkor einfach mit seinem Schwert durchbohren, doch was würde aus dem Wirbel werden, wenn die magische Formel nicht beendet wurde? Womöglich wuchs er dann immer weiter an, bis er die ganze Welt verschlang. Solange Calvyn nicht wusste, welcher Natur dieses wirbelnde Nichts war, konnte er nichts unternehmen. Die Hüter waren auf dem Weg hierher und hätten sicher eher eine Idee, was dieser Wirbel sein sollte, aber ob sie helfen konnten?
Was sollte er nur tun?
Während Calvyn noch mit sich haderte, stieß der Feuerball einen letzten Strom flirrender Kraft in den Wirbel. Dann wurde auch der Ball eingesaugt.
Selkor atmete tief ein, ließ erschöpft die Schultern sinken und drehte sich um. Als sein Blick auf Calvyn fiel, umspielte ein bösartiges Lächeln den Mund des shandesischen Magiers.
17
»Diesmal hat Perdimonn also seinen Welpen geschickt.« Selkors Stimme triefte vor Verachtung. »Er macht wohl gar nichts mehr selber. Wie ich sehe, hast du dein Schwert mitgebracht. Das ist gut, denn ich wollte ohnehin mit dir über den netten kleinen Leuchtstab reden. Ich habe nun doch Verwendung dafür. Wenn du ihn mir jetzt einfach aushändigst, kannst du unbehelligt deiner Wege gehen. Ach, wie schön, und den Ring des Nadus hast du auch dabei! Sein Verlust hat mich schwer getroffen. Nett von dir, dass du ihn mir zurückbringst.«
Calvyn spürte, wie Selkor seine geistigen Zauberkräfte ausschickte, um Besitz von ihm zu ergreifen. Er wollte gerade einen inneren Schutzschild errichten, da merkte er, wie der Ring, den er von Bek bekommen hatte, kalt wurde: Er wehrte Selkors Versuche, ihn zu beherrschen, selbstständig ab. Calvyn musste lächeln, als Selkors Zauberkräfte an ihm abprallten wie an einer Wand. Bedächtig zog er sein Schwert und legte sich eine Runenfolge zurecht. Er war froh, dass er sich
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