Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
Babbit zu fragen, und ging mit meinem Blatt zu dem Schalter, wo sie gerade Karten abstempelte.
    »Hallo, Emma.«
    »Hallo.« Ich schilderte ihr mein Problem und las ihr die Zeile vor.
    Miss Babbit guckte ein wenig perplex, dann bat sie mich, ihr zu folgen, und wir gingen zu den Regalen mit der Belletristik. Sie kannte anscheinend jedes Buch in der Bücherei, denn es dauerte genau eine Minute, bis sie das Gesuchte gefunden hatte. Ich überlegte, ob ich vielleicht Bibliothekarin werden sollte. Wenn man das war, kannte man sich ja wirklich gut aus.
    Das Buch, das sie in der Hand hielt, war ziemlich dick. Ich las den Titel auf dem Buchrücken: Anna K – Der Name war teilweise von ihrem Finger verdeckt. Sie las vor: »›Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich.‹ Das ist von Tolstoi.«
    Von dem hatte ich schon gehört. Ich glaube, das war einer von den Russen. Die waren alle verrückt. »Der Spruch ist ziemlich berühmt, stimmt’s?«
    Sie nickte. »Den kannst du natürlich verwenden, Emma. Setz ihn einfach in Anführungszeichen.«
    Ich hatte nicht vor, ihn so in meiner Geschichte herauszuheben. »Danke, Miss Babbit.«
    Sie ging wieder nach vorn, und ich kehrte zu meinem Schicksal zurück. Ich ließ mich auf meinen Stuhl plumpsen, als wäre der an allem schuld.
    Da fiel mir wieder ein, was Maud über einen Schriftsteller gesagt hatte, der eine Uhr auf seinem Schreibtisch stehen hatte und sich zwang, jede Viertelstunde eine bestimmte Anzahl von Wörtern zu schreiben. Er schrieb einfach das auf, was ihm zu seiner Geschichte als Erstes einfiel.
    Dann würde ich das eben auch machen. Ich schaute auf die große Uhr an der Wand – und griff nach meinem Bleistift. Die Musik spielte. Der Mond schien. Es wurde getanzt. Da stand eine Leiter … Sollte ich die Leiter drin lassen? Oder verdarb die den ganzen romantischen Ton? Achselzuckend fuhr ich mit der neuen Episode einfach fort. Ich dachte an Bing Crosby und wie der »Moonlight Becomes You« für Dorothy Lamour gesungen hatte. Mit einem Zähneknirschen dachte ich an Morris Slade und schrieb hin: »Er ist charmant. Er ist reich. Er sitzt im Gefängnis – Morris Slade.«
    Wow! Das war kein schlechter Anfang! Ich schrieb weiter:
    Morris Slade wurde festgenommen, nachdem man im Brokedown House draußen bei der White’s Bridge Road die Leiche eines jungen Mannes gefunden hatte.
    Mr Butternut, der schon seit ewigen Zeiten dort draußen wohnt, entdeckte die Leiche und äußerte sich wie folgt dazu:
    Ich könnte mir ein Zitat von Mr Butternut besorgen. Der würde liebend gern in der Zeitung erscheinen und war inzwischen vielleicht schon fast eine Berühmtheit. Ich fing wieder an:
    Ich nenne diese Geschichte »Stadt der Tragödien«, weil sich so viele schreckliche Dinge hier ereignet haben. Zum Teil wurde schon in früheren Ausgaben darüber berichtet, etwa über den Ertrinkungstod von Mary-Evelyn Devereau und die Ermordung von Rose Queen drüben in Cold Flat Junction . Dann wurde vor Kurzem erst ihre Tochter Fern ermordet, wieder in der Nähe der White’s Bridge …
    Schon wieder hatte ich mich selber vergessen! Seufzend machte ich weiter:
    sowie ein Mordversuch an meiner Wenigkeit, Emma Graham, verübt, drüben am Spirit Lake.
    Ich fuhr fort:
    Was Sie noch nicht gehört haben, sind alle Einzelheiten übe r das Baby, das einst aus dem Hotel Belle Ruin verschwand und vermutlich entführt wurde.
    Jetzt endlich wissen wir, was damals wirklich geschehen ist …
    Ich schaute zur Uhr hoch: achtzehn Minuten! Ich schmiss meinen Bleistift in die Höhe, und als der wieder herunterkam, sah ich den Sheriff am Empfangstresen mit Miss Babbit reden.
    Was machte der denn hier? Ich konnte mich nicht erinnern, den Sheriff jemals in der Abigail Butte Gemeindebücherei gesehen zu haben.
    Jetzt hatte er mich erblickt und kam an meinen Tisch. Er zog sich den Stuhl gegenüber von mir heraus. »Darf ich?«
    »Ach, Sie lesen?«, sagte ich.
    Er lächelte ein dünnes, man könnte sagen, messerscharfes Lächeln. »Jetzt komm mal von deiner rechthaberischen Wolke runter und hör zu …«
    Meiner was? »Ich denke fast nie, dass ich recht habe.« Ich war wohl immer noch auf meiner rechthaberischen Wolke, denn ich dachte fast ständig, dass ich recht hatte. Ich erinnerte mich, was Maud gesagt hatte: »Recht haben kann schwerer sein, als wenn man sich irrt.« Ich hatte immer noch nicht ganz heraus, was genau sie damit meinte.
    »Woher wussten Sie,

Weitere Kostenlose Bücher