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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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jeden Moment hereinkommen, und so suchte ich krampfhaft nach der einen Frage, die ich vielleicht beantwortet haben wollte. Doch es waren zu viele. Wie dumm von mir, dass ich sie mir nicht schon vorher zurechtgelegt hatte. Allerdings hatte ich ja bis vor einer Viertelstunde überhaupt nicht gewusst, dass Ralphs Eltern hier waren.
    »Ralph war wirklich nett. Im Hotel mochten ihn alle sehr. Sie wissen doch, dass er eine Weile im Hotel meiner Mutter gearbeitet hat.«
    Mrs Diggs schüttelte den Kopf. »Nein, wir wussten gar nichts. Nicht mal, dass er …«
    »Na, na, Mame. Da musst du jetzt nich drüber reden«, sagte Mr Diggs. Er klang eher verbittert als traurig.
    Die Tür ging auf, und der Sheriff trat ein. Als er mich sah, blieb er kopfschüttelnd stehen, ging dann aber zu den Diggs und stellte sich vor. »Ich bin Sheriff DeGheyn, Mrs Diggs … Mr Diggs … Mein Beileid.«
    Mein herzliches Beileid, soufflierte ich im Stillen.
    Weil er natürlich meine Gedanken lesen konnte, wandte er sich um. »Emma?«
    Ich ließ schuldbewusst den Kopf hängen, aber bloß ein bisschen, denn der Sheriff wusste, dass ich kein Typ war, der den Kopf hängen ließ. »Entschuldigung. Ich dachte bloß …«
    Mrs Diggs: »So eine nette Kleine, Sheriff! Sie hat uns Kaffee und Donuts gebracht. Wirklich lieb.«
    Ich scharrte verlegen mit dem Schuh, hörte aber gleich wieder auf damit, denn er wusste, dass ich auch kein Typ war, der mit den Schuhen scharrte. Ich kratzte mich am Ohr, ohne ihn dabei anzuschauen. »Hm, es ist bloß, weil sie doch die lange Autofahrt hatten …«
    Plötzlich stand Donny da. »Ich dachte, du hast ihr gesagt, sie soll das herbringen, Sam. Hat sie jedenfalls behauptet.«
    »Hab ich gar nicht behauptet!« Ich wandte mich den Diggs zu. »Tut mir leid für den ganzen Wirbel, das kommt ja jetzt wohl etwas ungelegen.«
    Donny bedachte ich mit einem, ja so nennt man es wohl, »hasserfüllten Blick«.
    Der Sheriff sagte: »Wirklich nett von dir, Emma, dass du dich so bemühst. Wir haben hier jetzt aber eine sehr traurige Angelegenheit zu besprechen. Also dann vielleicht bis später.«
    Er lächelte tatsächlich. Deuten konnte ich sein Lächeln nicht, behielt es aber fest im Blick, bis ich aus der Tür war.

61. KAPITEL
    Stadt der Tragödien . Ich saß an einem der Tische in der Abigail Butte Gemeindebücherei und schrieb diese Überschrift mit bleischwerer Hand nieder, drückte meinen Bleistift hart auf, zog die Buchstaben fett nach, bis fast das Papier zerriss.
    Damit brachte ich einige Zeit zu, weil ich nicht wusste, was nun folgen sollte. Und wieso nicht? Hatte ich Mr Gumbrel nicht vor ein paar Tagen den letzten Teil gezeigt? Wie war das mit dem Schreiben? Brauchte man dieses Gefühl, erst vor zehn Minuten geboren zu sein und nicht mal zu wissen, dass Geschriebenes auf Seiten stand? Dass man nicht mit den Fingerspitzen in die Luft schrieb wie kleine Babys?
    Ich stützte den Kopf in die Hände. Es war ja nicht so, dass ich nicht gewusst hätte, worüber ich schreiben wollte – im Kopf hatte ich viel. Ich wusste eben einfach nicht so recht, wo ich anfangen sollte.
    Plötzlich hörte ich, wie draußen auf der Straße ein Auto anhielt, mit quietschenden Reifen, als wollte es einen Auffahrunfall verhindern. Hoffentlich überquert Ree-Jane gerade die Straße, dachte ich.
    Ich rutschte auf meinem Stuhl nach unten und starrte zum Deckenventilator hoch, der sich langsam drehte und auf dem ein paar Fliegen mitfuhren wie auf einem Fliegenkarussell. Dann zwang ich mich, mich aufrecht hinzusetzen und auf mein Blatt zu schauen.
    STADT DER TRAGÖDIEN: Die Musik spielte. Der Mond schien. Es wurde getanzt.
    Ich wünschte, ich hätte das nicht schon mal geschrieben, denn dann hätte ich jetzt etwas zu Papier gebracht.
    Die Musik spielte. Der Mond schien.
    Vielleicht konnte ich mit dem Spruch über Familien weitermachen, den ich irgendwo schon mal gelesen oder gehört hatte. Ich schrieb hin: »Alle Familien sind unglücklich.« Nein. Das war so offensichtlich, das lohnte sich nicht hinzuschreiben. »Alle Familien sind glücklich oder unglücklich.« Nein. »Alle Familien sind unglücklich, aber jede auf unterschiedliche Weise.« Das war okay, allerdings hatte das schon mal jemand geschrieben. Wenn ein berühmter Schriftsteller es geschrieben hatte, konnte ich es auf keinen Fall verwenden, nicht, weil das unehrlich wäre, sondern weil es wahrscheinlich jemand merken und dem Herausgeber einen Brief schreiben würde.
    Also beschloss ich, Miss

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