Das Versprechen
Licht rückt, ihn zu einem Genie werden läßt, zu einem Menschen, der die uns verborgenen Faktoren der Wirklichkeit so weit erahnte, daß er die Hypothesen und Annahmen durchstieß, von denen wir umstellt sind, und in die Nähe jener Gesetze drang, an die wir sonst nie herankommen, welche die Welt in Schwung halten. In die Nähe freilich nur.
-1 0 0 -
Denn gerade dadurch, daß es nun eben diese grausige Pointe leider Gottes gibt, als das Unvorauszuberechnende, als das Zufällige, wenn Sie wollen, werden seine Genialität, sein Planen und Handeln nachträglich um so schmerzlicher ad absurdum geführt, als dies vorher der Fall war, da er nach der Meinung der Kasernenstraße irrte: Nichts ist grausamer als ein Genie, das über etwas Idiotisches stolpert. Doch hängt bei einem solchen Vorkommnis alles davon ab, wie sich nun das Genie zu dem Lächerlichen stellt, über das es fiel, ob es dieses hinnehmen kann oder nicht. Matthäi konnte es nicht akzeptieren. Er wollte, daß seine Rechnung auch in der Wirklichkeit aufgehe. Er mußte daher die Wirklichkeit verleugnen und im Leeren münden. So endet denn meine Erzählung auf eine besonders triste Weise, es ist eigentlich geradezu die banalste aller möglichen »Lösungen« eingetreten.
Nun, das gibt es eben bisweilen. Das Schlimmste trifft auch manchmal zu. Wir sind Männer, haben damit zu rechnen, uns dagegen zu wappnen und uns vor allem klar darüber zu werden, daß wir am Absurden, welches sich notwendigerweise immer deutlicher und mächtiger zeigt, nur dann nicht scheitern und uns einigermaßen wohnlich auf dieser Erde einrichten werden, wenn wir es demütig in unser Denken einkalkulieren.
Unser Verstand erhellt die Welt nur notdürftig. In der Zwielichtzone seiner Grenze siedelt sich alles Paradoxe an.
Hüten wir uns davor, diese Gespenster »an sich« zu nehmen, als ob sie außerhalb des menschlichen Geistes angesiedelt wären, oder, noch schlimmer: Begehen wir nicht den Irrtum, sie als einen vermeidbaren Fehler zu betrachten, der uns verführen könnte, die Welt in einer Art trotziger Moral hinzurichten, unternähmen wir den Versuch, ein fehlerloses Vernunftsgebilde durchzusetzen, denn gerade seine fehlerlose Vollkommenheit wäre seine tödliche Lüge und ein Zeichen der schrecklichsten Blindheit. Doch mir verzeihen Sie, daß ich diesen Kommentar mitten in meine schöne Geschichte setze, denkerisch nicht stubenrein, ich weiß, doch müssen Sie es einem alten Manne wie mir schon gönnen, sich Gedanken über das zu machen, was er erlebte, mögen diese Gedanken noch so unfertig sein,
-1 0 1 -
aber auch wenn ich von der Polizei herkomme, ich bemühe mich schließlich doch, ein Mensch zu sein und kein Ochse.
Nun, es war voriges Jahr und natürlich wieder an einem Sonntag, als ich auf den Anruf eines katholischen Geistlichen hin einen Besuch im Kantonsspital zu machen hatte. Ich stand kurz vor meiner Pensionierung, in den letzten Tagen meiner Amtstätigkeit, eigentlich war schon mein Nachfolger in Betrieb, nicht Henzi, der es zum Glück nicht schaffte, trotz seiner Hottinger, sondern ein Mann von Format und Genauigkeit, begabt mit einer zivilen Menschlichkeit, die dem Posten nur wohltun konnte. Der Anruf hatte mich in meiner Wohnung erreicht. Ich kam der Aufforderung nur nach, weil es sich um etwas Wichtiges handeln sollte, das mir eine Sterbende mitzuteilen wünschte, was ja hin und wieder vorkommt. Es war ein sonniger, aber kalter Dezembertag. Alles kahl, wehmütig, melancholisch. Unsere Stadt kann in solchen Momenten zum Heulen sein. Eine Sterbende zu sehen, war deshalb eine doppelte Zumutung. Ich ging daher auch einige Male ziemlich trübsinnig um Aeschbachers Harfe im Park herum, spazierte aber schließlich doch ins Gebäude. Frau Schrott, medizinische Klinik, Privatabteilung. Das Krankenzimmer ging gegen den Park. Es war voller Blumen, Rosen, Gladiolen. Die Vorhänge waren halb gezogen. Schräge Sonnenstrahlen fielen auf den Fußboden. Am Fenster saß ein gewaltiger Priester mit einem derben roten Gesicht und einem grauen ungepflegten Bart, und im Bett lag ein Frauchen, alt, fein verrunzelt, die Haare dünn und schlohweiß, ungemein sanft, offenbar schwerreich, nach dem Aufwand zu schließen. Neben dem Bett stand ein komplizierter Apparat, irgendeine medizinische Apparatur, zu der verschiedene Schläuche führten, die unter der Bettdecke hervorkamen. Die Maschine mußte immer wieder von einer Krankenschwester kontrolliert werden. Die Schwester betrat in
Weitere Kostenlose Bücher