Das Versprechen
fünfundfünfzig. Aber es war sicher das beste für ihn, er war ja eine Waise; die Mutter war, ich will gar nicht sagen, was gewesen, und den Vater hat niemand gekannt, nicht einmal den Namen. Mein erster Mann hat ihn seinerzeit als Sechzehnjährigen aufgenommen, in der Schule haperte es mehr als nötig, er hatte es immer schwer mit Schreiben und Lesen. Die Heirat war einfach die sauberste Lösung, man kommt ja so leicht ins Gerede als Witwe, wenn ich auch nie etwas mit Albertchen selig hatte, auch in der Ehe nicht, das versteht sich ja bei dem Altersunterschied; aber mein Vermögen war knapp, ich mußte haushalten, um mit den Zinsen meiner Häuser in Zürich und Chur durchzukommen; aber was wollte Albertchen selig mit seinen beschränkten Geistesmitteln im harten Lebenskampf draußen. Er wäre verloren gewesen, und man ist als Christ verpflichtet. So lebten wir eben in Ehren zusammen; er hantierte im Haus und im Garten herum, ein stattlicher Mann, muß ich rühmen, groß und fest, immer würdig und feierlich gekleidet; ich brauchte mich seiner nicht zu schämen, wenn er auch fast nichts redete außer etwa >jawohl, Mutti, selbstverständlich, Mutti<, aber folgsam war er und mäßig im Trinken, nur essen tat er gern, besonders Nudeln, überhaupt alle Teigwaren und Schokolade. Die war seine Leidenschaft. Aber sonst war er ein braver Mann und ist es sein Leben lang auch geblieben, bei weitem netter und gehorsamer als der Chauffeur, den meine Schwester vier Jahre später geheiratet hat, trotz ihrem Oberst, und der auch erst dreißig war.«
»Erzählen, Frau Schrott«, wehte die Stimme des Priesters in gleichgültiger Unerbittlichkeit vom Fenster her, als das Mütterchen nun eine Zeitlang schwieg, wohl doch etwas erschöpft, während ich immer noch treuherzig der Stiftung für arme Polizisten harrte.
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Frau Schrott nickte. »Sehen Sie, Herr Kommandant«, erzählte sie, »doch in den vierziger Jahren ging es mit Albertchen selig allmählich bergab, ich weiß nicht recht, was ihm eigentlich fehlte, aber es muß etwas in seinem Kopf schadhaft geworden sein; er wurde immer stumpfer und stiller, stierte vor sich hin und redete oft tagelang nichts, tat nur seine Arbeit, wie es sich gehörte, so daß ich nicht ausdrücklich schimpfen mußte, doch fuhr er stundenlang mit seinem Velo herum, vielleicht, daß ihn der Krieg verwirrte oder der Umstand, daß sie ihn nicht ins Militär genommen hatten; was weiß unsereiner, was so in einem Manne vor sich geht! Dazu wurde er immer gefräßiger; zum Glück hatten wir unsere Hühner und unsere Kaninchenzucht. Und da hat sich denn mit Albertchen selig das zugetragen, was ich Ihnen erzählen soll, das erstemal gegen Ende des Krieges.«
Sie schwieg, weil wieder einmal die Schwester und ein Arzt das Krankenzimmer betreten hatten, die sich teils hinter die Apparaturen, teils hinter das Mütterchen machten. Der Mediziner war ein Deutscher, blond, wie aus dem Bilderbuch, fröhlich, forsch, auf seiner Routinetour als Arzt vom Sonntagsdienst, wie geht's, Frau Schrott, immer tapfer, haben ja ausgezeichnete Resultate, staune, staune, nur nicht schlapp machen; dann wandelte er von dannen, die Schwester folgte ihm, und der Priester mahnte: »Erzählen, Frau Schrott, erzählen, um elf Letzte Ölung«, eine Aussicht, die das Weiblein nicht im geringsten zu beunruhigen schien.
»Er hatte jede Woche Eier nach Zürich zu meiner Militaristenschwester zu bringen«, begann die Greisin vielmehr von neuem, »der arme Albertchen selig, er band dann das Körbchen hinten aufs Velo und kam gegen Abend zurück, weil er schon früh aufbrach, gegen sechs oder fünf, immer feierlich schwarz gekleidet mit einem runden Hut. Alle grüßten freundlich, wenn er durch Chur pedalte und dann zum Städtchen hinaus, vor sich hin pfeifend, sein Lieblingslied, ich bin ein Schweizerknabe und hab die Heimat lieb. Es war diesmal ein heißer Tag im Hochsommer, zwei Tage nach der Bundesfeier, und es wurde denn auch über Mitternacht, bis er
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nach Hause kam. Ich hörte ihn lange hantieren und sich waschen im Badezimmer, ging hinüber, sah, daß alles voll Blut war bei Albertchen selig, auch die Kleider. Mein Gott, Albertchen, fragte ich, was ist dir denn zugestoßen? Er glotzte nur, sagte dann, Unfall, Mutti, wird schon werden, geh schlafen, Mutti, und so ging ich schlafen, wenn ich auch verwundert war, weil ich gar keine Wunden gesehen hatte. Aber am Morgen, als wir am Tische saßen und er seine Eier aß, immer
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