Das Versprechen
bei der Lichtung warten«, entschied er.
»Leben Sie wohl«, sagte ich, verließ den Raum, trat ins Freie, am Burschen, am Mädchen vorbei, winkte Feller zu, der von seiner Döserei aufschrak, herangefahren kam und mir die Wagentüre öffnete.
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»In die Kasernenstraße«, befahl ich.
Dies die Geschichte, soweit mein armer Matthäi darin wesentlich vorkommt, fuhr der ehemalige Kommandant der Kantonspolizei in seiner Erzählung fort. [Hier ist nun wohl der Ort, einerseits zu erwähnen, daß der Alte und ich natürlich schon längst unsere Fahrt Chur-Zürich beendet hatten und nun in der in seinem Bericht öfters erwähnten und gelobten
»Kronenhalle« saßen, selbstverständlich von Emma bedient und unter dem Bilde von Gubler - das jenes von Miró abgelöst hatte - wie dies alles nun einmal der Gewohnheit des Alten entsprach; des weiteren, daß wir im übrigen schon gegessen hatten - ab voiture, Bollito milanese; auch dies war bekannterweise eine seiner Traditionen, warum da nicht mitmachen -, ja, es ging nun schon gegen vier, und nach dem
»Kaffee Partagas«, wie der Kommandant seine Passion nannte, zum Espresso eine Havanna zu rauchen, offerierte er mir zum folgenden Reserve du Patron noch eine zweite Charlotte. Anderseits aber wäre noch beizufügen, rein technisch, der schriftstellerischen Ehrlichkeit und dem Metier zuliebe, daß ich die Erzählung des redegewaltigen Alten natürlich nicht immer so wiedergegeben habe, wie sie mir berichtet wurde, wobei ich nicht etwa an den Umstand denke, daß wir natürlich Schweizerdeutsch sprachen, sondern an jene Teile seiner Geschichte, die er nicht von seinem Standpunkte aus, von seinem Erlebnis her, sondern gleichsam objektiv als Handlung an sich erzählte, wie etwa bei der Szene, in der Matthäi sein Versprechen ablegt. Bei solchen Stellen war einzugreifen, zu formen, neu zu formen, wenn ich mir auch die größte Mühe gab, die Vorkommnisse nicht zu verfälschen, sondern nur als Material, das mir der Alte lieferte, nach bestimmten Gesetzen der Schriftstellerei zu bearbeiten, druckfertig zu machen.]
Natürlich, führte er des weiteren aus, kehrte ich noch einige Male zu Matthäi zurück, immer mehr überzeugt, daß er mit seinem Verdacht, der Hausierer sei unschuldig gewesen, unrecht gehabt hatte, weil sich auch in den folgenden Monaten, Jahren kein neuer Mord ereignete. Nun, ich brauche nicht
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ausführlicher zu werden; der Mann verkam, versoff, verblödete; es gab weder etwas zu helfen noch etwas zu ändern; die Burschen schlichen und pfiffen in den Nächten nicht mehr vergeblich um die Tankstelle herum; es ging böse zu, die Bündner Polizei machte einige Razzien. Ich mußte meinen Kollegen in Chur reinen Wein einschenken, worauf sie ein Auge zudrückten oder beide. Vernünftiger als bei uns sind sie dort immer gewesen. So nahm denn eben alles seinen Lauf ins Fatale, und das Resultat haben Sie ja auf unserer Fahrt selbst gesehen. Es ist traurig genug, besonders weil die Kleine, die Annemarie, auch nicht besser wurde. Vielleicht nur deshalb, weil sich gleich verschiedene Organisationen zu ihrer Rettung in Bewegung setzten. Das Kind wurde versorgt, lief aber immer wieder davon und zur Tankstelle zurück, in welcher die Heller vor zwei Jahren die schäbige Schenke einrichtete; weiß der Teufel, wie sie sich die Bewilligung erschlich, jedenfalls gab dies der Kleinen den Rest. Sie machte mit. In jeder Beziehung.
Vor vier Monaten hat sie gerade ein Jahr Hindelbank hinter sich gebracht, um es offen zu sagen; aber eine Lehre hat das Mädchen nicht daraus gezogen. Sie haben es ja konstatieren können, schweigen wir davon. Doch Sie werden sich nun schon längst gefragt haben, was denn meine Geschichte mit der Kritik zu tun hat, die ich an Ihrem Vortrag anbrachte, und weshalb ich denn Matthäi ein Genie nannte. Begreiflicherweise. Sie werden einwenden, ein ausgefallener Einfall müsse ja noch lange nicht richtig oder gar ein genialer Einfall sein. Auch das stimmt. Ich kann mir sogar vorstellen, was Sie sich nun in Ihrem Schriftstellerhirn ausdenken. Man brauche nur, werden Sie sich listigerweise sagen, Matthäi recht bekommen und den Mörder fangen zu lassen, und schon ergebe sich der schönste Roman oder Filmstoff, die Aufgabe der Schriftstellerei bestehe schließlich darin, die Dinge durch einen bestimmten Dreh durchsichtig zu machen, damit die höhere Idee hinter ihnen durchschimmere, ahnbar werde, ja, durch einen solchen Dreh, durch den Erfolg Matthäis
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