Das Versprechen
regelmäßigen Abständen das Krankenzimmer schweigend und aufmerksam, wodurch das Gespräch in fast gleichmäßigen Intervallen unterbrochen wurde - um diesen Umstand gleich zu Beginn anzuführen.
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Ich grüßte. Die alte Dame schaute mich aufmerksam und äußerst ruhig an. Ihr Gesicht war wächsern, unwirklich, doch noch merkwürdig lebhaft. In den gelblichen verrunzelten Händen hielt sie zwar ein kleines schwarzes Büchlein mit Goldschnitt, offensichtlich ein Gebetbuch, doch war es kaum glaublich, daß diese Frau bald sterben mußte, so vital, so ungebrochen schien die Kraft, die von ihr ausging, trotz aller Schläuche, die unter ihrer Bettdecke hervorkrochen. Der Pfarrer blieb sitzen. Er wies mit einer ebenso majestätischen wie unbeholfenen Handbewegung auf einen Stuhl neben dem Bett.
»Setzen Sie sich«, forderte er mich auf, und als ich Platz genommen hatte, kam seine tiefe Stimme aufs neue vom Fenster her, vor dem er sich als mächtige Silhouette auftürmte:
»Erzählen Sie dem Herrn Kommandant, was Sie zu berichten haben, Frau Schrott. Um elf müssen wir dann die Letzte Ölung vornehmen.«
Frau Schrott lächelte. Es tue ihr leid, daß sie mir Ungelegenheiten bereite, äußerte sie charmant, und ihre Stimme war zwar leise, aber noch äußerst deutlich, ja geradezu munter.
Ich log, das mache mir nichts aus, nun überzeugt, das alte Mütterchen werde mir irgendeine Stiftung für notleidende Polizisten oder etwas Ähnliches ankündigen.
Es sei eine an sich unwichtige und harmlose Geschichte, die sie mir zu berichten habe, fuhr die Alte fort, eine Begebenheit, die sich wahrscheinlich in allen Familien ein oder mehrere Male ereigne, und deshalb sei sie ihr auch aus dem Sinn gekommen, doch jetzt, wie es nun eben sein müsse, weil die Ewigkeit heranrücke, sei sie während ihrer Generalbeichte darauf zu reden gekommen, rein zufällig, weil gerade vorher eine Enkelin ihres einzigen Patenkindes gekommen sei mit Blumen und dabei ein rotes Röcklein getragen habe, und Pfarrer Beck sei ganz aufgeregt geworden und habe gemeint, sie solle die Geschichte mir erzählen, sie wisse wirklich nicht, warum, es sei ja alles vorbei, aber wenn Hochwürden meine ...
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»Erzählen Sie, Frau Schrott«, kam die tiefe Stimme vom Fenster her, »erzählen Sie.« Und in der Stadt begannen die Kirchenglocken die Predigt auszuläuten, es tönte dumpf und fern. Nun, sie wolle es versuchen, nahm die Greisin einen neuen Anlauf, begann zu plappern. Sie habe schon lange keine Geschichten mehr erzählt, nur dem Emil, ihrem Sohne von ihrem ersten Mann, aber dann sei der Emil ja gestorben an der Auszehrung, es sei nichts mehr zu machen gewesen. Er wäre nun so alt wie ich, oder besser wie der Herr Pfarrer Beck; aber sie wolle sich nun vorstellen, ich sei ihr Sohn und der Herr Pfarrer Beck auch, denn gleich nach dem Emil habe sie den Markus geboren, doch der sei nach drei Tagen gestorben, Frühgeburt, schon nach sechs Monaten sei er zur Welt gekommen, und Doktor Hobler habe gemeint, dies sei am besten für das arme Ding gewesen. Und so ging das konfuse Gerede eine Weile weiter.
»Erzählen Sie, Frau Schrott, erzählen Sie«, mahnte der Pfarrer mit seinem Baß, unbeweglich vor dem Fenster sitzend, nur hin und wieder mit der Rechten wie ein Moses durch seinen wilden grauen Bart streichend, auch in lauen Wellen einen deutlichen Knoblauchgeruch verbreitend. »Wir müssen bald zur Letzten Ölung schreiten!«
Nun wurde sie auf einmal stolz und geradezu aristokratisch, richtete ihr Köpflein sogar ein wenig auf, und ihre Äuglein blitzten. Sie sei eine Stänzli, sagte sie, ihr Großvater sei Oberst Stänzli gewesen, der im Sonderbundskrieg den Rückzug auf Escholzmatt durchgeführt habe, und ihre Schwester habe den Oberst Stüssi geheiratet, den Zürcher Generalstäbler im Ersten Weltkrieg, welcher der Duzfreund General Ulrich Willes gewesen sei und den Kaiser Wilhelm persönlich gekannt habe, das werde ich wohl noch wissen.
»Natürlich«, antwortete ich gelangweilt, »selbstverständlich.«
Was ging mich der alte Wille an und der Kaiser Wilhelm, dachte ich, rück nun heraus mit deiner Stiftung, Alte. Wenn man nur rauchen könnte, eine kleine Suerdieck wäre nun das richtige, etwas Urwaldluft in diese Spitalatmosphäre und in diesen
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Knoblauchduft hineinzublasen. Und der Pfarrer orgelte hartnäckig, unermüdlich: »Erzählen, Frau Schrott, erzählen.«
Ich müsse wissen, fuhr die alte Dame fort, und ihr Gesicht
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