Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
Vom Netzwerk:
eben, werde mein verkommener Detektiv nicht nur interessant, sondern auch geradezu eine biblische Gestalt, eine Art moderner Abraham an Hoffnung und Glaube, und aus der sinnlosen Geschichte, daß nämlich einer,
    -9 8 -

    weil er an die Unschuld eines Schuldigen glaube, einem Mörder nachforsche, den es gar nicht gebe, werde eine sinnvolle; der schuldige Hausierer werde nun eben im Reiche hoher Dichtung unschuldig, der nicht existierende Mörder existent, und aus einem Geschehnis, welches dahin tendiere, die menschliche Glaubenskraft und die menschliche Vernunft zu verspotten, werde nun eines, das diese Kräfte vielmehr verherrliche; ob sich die Tatsachen auch so verhalten hätten, sei gleichgültig, die Hauptsache sei schließlich, daß diese Fassung des Geschehens ebenfalls möglich scheine. So stelle ich mir Ihren Gedankengang ungefähr vor, und ich kann geradezu voraussagen, daß diese Variante meiner Geschichte so erhebend ist und positiv, daß sie demnächst einfach erscheinen muß, sei es nun als Roman oder als Film. Alles werden Sie im großen und ganzen erzählen, wie ich es versucht habe, nur besser selbstverständlich. Sie sind schließlich ein Mann von der Branche, und nur am Schlüsse kommt dann eben wirklich der Mörder, erfüllt sich die Hoffnung, triumphiert der Glaube, womit die Erzählung für die christliche Welt doch noch annehmbar wird. Dazu sind noch weitere Milderungen denkbar. Ich schlage etwa vor, daß es für Matthäi, kaum hat er die Trüffeln entdeckt, in Erkenntnis der Gefahr, in der Annemarie schwebt, unmöglich wird, den Plan, das Kind als Köder zu benützen, weiter zu verfolgen, sei es aus reifer Menschlichkeit oder aus väterlicher Liebe zum Kinde, worauf er Annemarie mit seiner Mutter in Sicherheit bringen könnte und an das Bächlein eine große Puppe setzen würde. Gewaltig und feierlich käme dann der Mörder aus dem Walde auf das vermeintliche Kind zugeschritten, in der Abendsonne, Annemaries Zauberer, voll Lust, endlich wieder einmal mit dem Rasiermesser hantieren zu können; die Erkenntnis, daß er in eine teuflische Falle geraten, brächte ihn zur Raserei, zum Wahnsinnsausbruch, Kampf mit Matthäi und Polizei und dann vielleicht am Schluß - Sie müssen mir meine Dichterei schon verzeihen - ein ergreifendes Gespräch des verletzten Kommissärs mit dem Kinde, nicht lang, nur einige Sätze, warum nicht, das Mädchen wäre einfach seiner Mutter entwichen, um den geliebten Zauberer zu treffen, seinem unerhörten Glück entgegenzueilen, und so wäre sogar
    -9 9 -

    noch ein Lichtblick voll sanfter Humanität und entsagungsvoller märchenhafter Poesie möglich nach all den Greueln; oder aber, was wahrscheinlicher ist, Sie werden etwas ganz anderes fabrizieren; ich kenne Sie ja nun ein wenig, wenn auch, Hand aufs Herz, mir Max Frisch näher liegt; gerade die Sinnlosigkeit wird Sie reizen, die Tatsache, daß da einer an die Unschuld eines Schuldigen glaubt und nun einen Mörder sucht, den es nicht geben kann, wie wir die Situation treffend genug definiert haben: Aber nun werden Sie grausamer als die Realität, aus reinem Plaisir und um uns von der Polizei vollends ins Lächerliche zu ziehen: Matthäi würde nun tatsächlich einen Mörder finden, irgendeinen Ihrer komischen Heiligen, einen herzensguten Sektenprediger etwa, der natürlich in Wirklichkeit unschuldig und zum Bösen einfach unfähig wäre und gerade deshalb durch einen Ihrer boshaften Einfälle alle Verdachtsmomente auf sich ziehen würde. Diesen reinen Toren würde Matthäi umbringen, alle Beweise würden stimmen, worauf der glückliche Detektiv als Genie gepriesen und gefeiert wieder bei uns aufgenommen würde. Auch das ist denkbar. Sie sehen, ich bin Ihnen auf die Schliche gekommen. Doch werden Sie nun all mein Gerede nicht nur dem Reserve du Patron zuschreiben - wir sind beim zweiten Liter, zugegeben - sondern wohl auch spüren, daß ich noch das Ende der Geschichte zu erzählen habe, wenn auch widerwillig, denn daß diese Geschichte eben leider noch eine Pointe aufweist, brauche ich Ihnen nicht zu verheimlichen, und daß dies eine reichlich schäbige Pointe ist, werden Sie ahnen, so schäbig, daß sie einfach nicht zu verwenden ist, in keinem anständigen Roman oder Film. Sie ist so lächerlich, stupid und trivial, daß sie kurzerhand übergangen werden müßte, wollte man die Geschichte zu Papier bringen. Dabei ist ehrlicherweise zuzugeben, daß diese Pointe vorerst durchaus für Matthäi spricht, ihn ins richtige

Weitere Kostenlose Bücher