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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Katastrophe. Nur Matthäi hatte sich gefaßt.
    Er war geradezu steif und würdig in seinem blauen Monteuranzug. Er verneigte sich, ich traute meinen Augen und Ohren nicht, knapp vor dem Staatsanwalt und sagte: »Herr Doktor Burkhard, es geht jetzt nur darum, daß wir weiterwarten.
    Es gibt nichts anderes. Warten, warten und nochmals warten.
    Wenn Sie mir dazu weitere sechs Mann und das Funkgerät zur Verfügung stellen könnten, wäre das genügend.« Der Staatsanwalt musterte meinen ehemaligen Untergebenen erschrocken. Er hatte alles, nur nicht dies erwartet. Er war eben noch entschlossen gewesen, uns allen seine Meinung zu sagen; nun schluckte er ein paarmal leer, fuhr sich mit der Hand über die Stirne, kehrte dann auf einmal um und stampfte mit Henzi durchs Laub dem Walde entgegen, verschwand. Auf ein Zeichen von mir ging auch Feller.
    Matthäi und ich waren allein.
    -9 4 -

    »Hören Sie mir jetzt einmal zu«, schrie ich, entschlossen, den Mann endlich zur Vernunft zu bringen, wütend, daß ich selbst den Unsinn unterstützt und ermöglicht hatte, »die Aktion ist gescheitert, das müssen wir zugeben, wir haben jetzt mehr als eine Woche gewartet, und niemand ist gekommen.«
    Matthäi antwortete nichts. Er schaute sich nur um, aufmerksam, spähend. Dann ging er zum Waldrand, umschritt die Lichtung, kam wieder zurück. Ich stand immer noch auf dem Abfallhaufen, knöcheltief in alter Asche.
    »Das Kind hat auf ihn gewartet«, meinte er.
    Ich schüttelte den Kopf, widersprach. »Das Kind kam hierher, um allein zu sein, um am Bach zu sitzen, zu träumen mit seiner Puppe und >Maria saß auf einem Stein< zu singen. Daß es auf jemand gewartet haben soll, ist eine Auslegung, die wir dem Vorfall gegeben haben.« Matthäi hörte mir aufmerksam zu.
    »Annemarie hat die Igel bekommen«, sagte er hartnäckig, immer noch überzeugt.
    »Annemarie bekam Schokolade von jemandem«, sagte ich,
    »das stimmt. Wer kann einem Kinde nicht Schokolade schenken! Daß die Trüffeln aber die Igel auf der Kinderzeichnung seien, auch das ist nur Ihre Auslegung, Matthäi, und nichts beweist, daß es auch in der Wirklichkeit so ist.«
    Matthäi antwortete wieder nichts. Er begab sich aufs neue zum Waldrande, umschritt die Lichtung noch einmal, suchte an einer Stelle, wo sich das Laub angehäuft hatte, irgend etwas, gab es dann auf, kehrte zu mir zurück.
    »Das ist ein Mordort«, sagte er, »das spürt man, ich werde weiterwarten.«
    »Das ist doch Unsinn«, antwortete ich, auf einmal von Grauen erfüllt, voll Ekel, fröstelnd, müde.
    »Er wird hierher kommen«, sagte Matthäi.
    Ich schrie ihn an, außer mir: »Quatsch, Blödsinn, Idioterei!«
    Er schien gar nicht hinzuhören. »Gehen wir zur Tankstelle zurück«, sagte er.
    -9 5 -

    Ich war froh, den verwünschten Unglücksplatz endlich verlassen zu können. Die Sonne stand nun tief, die Schatten waren riesenlang, das weite Tal glühte in kräftigem Gold, der Himmel darüber von einem reinen Blau; doch war mir alles verhaßt, ich kam mir vor wie in eine unermeßliche Kitschpostkarte verbannt. Dann tauchte die Kantonsstraße auf, die rollenden Automobile, offene Wagen mit Menschen in bunten Kleidern; Reichtum, der dahergeschwemmt kam, vorüberbrauste. Es war absurd. Wir erreichten die Tankstelle.
    Neben den Benzinsäulen wartete Feller in meinem Wagen, schon wieder halb eingedöst. Auf der Schaukel saß die Annemarie, sang blechern wieder vor sich hin, wenn auch verheult »Maria saß auf einem Stein«, und am Türpfosten lehnte ein Bursche, wahrscheinlich ein Arbeiter der Ziegelfabrik, mit offenem Hemd und behaarter Brust, eine Zigarette im Mund, grinste. Matthäi achtete nicht auf ihn. Er ging in die kleine Stube, zum Tisch, wo wir schon gesessen hatten; ich trottete ihm nach. Er stellte Schnaps auf, schenkte sich immer wieder ein. Ich konnte nichts trinken, so angewidert war ich von allem. Die Heller war nicht zu sehen.
    »Es wird schwierig sein, was ich zu tun habe«, meinte er, »aber die Lichtung ist ja nicht weit, oder glauben Sie, daß ich besser hier warte, bei der Tankstelle?«
    Ich antwortete nichts. Matthäi ging hin und her, trank, kümmerte sich nicht um mein Schweigen.
    »Nur dumm, daß die Heller und Annemarie es nun wissen«, sagte er, »aber das wird sich einrenken lassen.«
    Draußen der Lärm der Straße, das plärrende Kind »Maria saß auf einem Stein«.
    »Ich gehe nun, Matthäi«, sagte ich.
    Er trank weiter, schaute mich nicht einmal an. »Ich werde teils hier, teils

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