Das Versteck der Anakonda
anderen unangenehmen Überraschungen abgesucht hatten.
»Wo bleibt Juanito mit den Beeren? Ich halte das nicht mehr aus.«
»Er ist bestimmt jeden Moment zurück.«
Nach einer knappen halben Stunde war Joe wieder ein wenig mit sich und der Welt versöhnt. Juanito hatte nicht zu viel versprochen.
Der Beerenbrei auf seinem Arm brachte sofort Linderung. Das Fruchtfleisch war blassrot und fühlte sich wie ein leicht kühlendes
Gel an, das den Schmerz zugleich betäubte.
»Cool! So einen Strauch bräuchten wir auch bei uns zu Hause. Auf die meisten anderen Sachen hier kann ich allerdings gut verzichten!«
»Und was ist mit Angeln? Kommst du nun mit oder nicht?« Paul wurde langsam ungeduldig und wollte aufbrechen.
»Klar«, antwortete Joe. »Noch schlimmer kann’s ja wohl nicht werden, oder?«
Juanito wendete sich ab und rollte die Augen: ›Hast du eine Ahnung‹, schien er sagen zu wollen. Dann ging er mit schnellen
Schritten einfach los. Den beiden blieb nichts anderes übrig, als ihm unverzüglich hinterherzulaufen.
»Dort vorne«, grummelte Juanito etwas später kaum hörbar, »das alte Bachbett. Wenn wir dem folgen, sind wir in zehn Minuten
an meinem Angelplatz.«
Und wirklich, es dauerte nicht mehr lange und sie standen am Rande einer lagunenartig ausgewaschenen Bucht des Rio Napo. Paul
verstand sofort, warum der Indianerjunge ausgerechnet hier angeln wollte. Der Fluss hatte sich auf dieser Seite ein flaches,
sanft geschwungenes sandiges Ufer geschaffen, das leicht zugänglich war. Das Beste aber war ein umgestürzter Baum, dessen
langer gerader Stamm wie ein Steg weit ins Wasser ragte. Es war der perfekte Angelplatz.
›Opa würde zwischen den untergetauchten Ästen auf Hechte angeln‹, dachte Paul. ›Mal sehen, was der Rio Napo zu bieten hat.‹
Während er einen Moment lang an Deutschland und an seine Mutter dachte, hörte er es neben sich platschen.
»Hey, ich dachte, wir wollten angeln?«
Juanito lachte. Er hatte seine Angelsachen auf dem Stamm abgelegt und war gerade dabei, ins tiefe Wasser zu waten.
»Wenn ich hierherkomme, gehe ich immer zuerst baden. Mit einem Arm voller Fische ist das nachher nicht mehr so toll. Kommt
rein. Oder habt ihr Angst?«
Während Joe erstarrte und keinerlei Anstalten machte, auch nur mit den Füßen ins Wasser zu gehen, erschien auf Pauls Gesicht
ein gequältes Lächeln.
»Ich? Angst? Überhaupt nicht.«
»Worauf wartest du dann? Oder bringen sie euch in Deutschland nicht das Schwimmen bei?«
Das ließ sich Paul nicht zweimal sagen. Immerhin hatte er im letzten Winter sein silbernes Schwimmabzeichen gemacht. Er konnte
sogar kraulen.
Nur noch mit der Unterhose bekleidet, war Paul in wenigen Sekunden startklar. Darauf gefasst, auf irgendetwas Glitschiges,
Matschiges zu treten, setzte Paul vorsichtig Fuß für Fuß in den weichen Schlamm.
»Nicht so! Du musst durch den Schlick schlurfen. Wenn du wie ein Ibis stakst, trittst du irgendwannauf einen Stachelrochen. Gegen diesen Schmerz ist der Biss der Feuerameise wie ein leichtes Streicheln.«
Paul erstarrte. Stachelrochen? Gefährliche Tiere hatten sie heute eigentlich genug gesehen. Aber da musste er jetzt durch.
Langsam schlurfte er ins Tiefe und probierte es dann mit ein paar vorsichtigen Schwimmbewegungen. Er war überrascht. Denn
obwohl das Wasser sicherlich über 25 Grad warm war, fühlte er sich nach einigen Minuten angenehm erfrischt. Trotzdem war er froh, als Juanito zurück zum Ufer glitt
und die Schwimmstunde für beendet erklärte.
»Helft mir mit den Schnüren.«
Jetzt war endlich Angelzeit! Juanito hatte Paul und Joe jeweils eine Schnur samt Stahlvorfach und Haken in die Hand gedrückt
und einen kurzen, harten Stock von dem umgestürzten Baum geschnitten.
»Knotet die Schnur in der Mitte fest und zieht eine Made auf den Haken. Aber nur halb, sie muss sich noch bewegen können.«
Die dicke weiße Larve hatte eine harte Außenhaut. Paul hatte keine Schwierigkeiten, sie auf den Angelhaken zu spießen. Er
spürte, wie ihn das Jagdfieber packte. Auch Joe wurde jetzt wieder munter.
»Lasst den Köder mit der Strömung treiben. Aberaufpassen, sonst reißen die Burschen euch den Stock samt Schnur und Haken aus den Händen.«
›Schön wär’s‹, dachte Paul und erinnerte sich an viele Angeltage ohne einen einzigen Biss.
»Oh. Verdammt.« Joe starrte ins Wasser. Mit einem leisen ›Platsch‹ war soeben sein Angelstock in den trüben Tiefen des Rio
Napo
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