Das Versteck der Anakonda
Schritten marschierte erlos. Paul trabte hinterher. Vor einem der flachen Gebäude im Zentrum des Camps bog der Biologe dann plötzlich ab und verschwand
um die Hausecke. Im nächsten Moment ertönte das ohrenbetäubende Gebimmel einer Feuerglocke.
Der Bienenstock erwachte! Aus allen Richtungen strömten Menschen auf den freien Platz zwischen den Gebäuden, vielfach damit
beschäftigt, Hemden zuzuknöpfen, Schuhriemen zu binden oder irgendeinen letzten Bissen zu kauen.
Aus dem Stimmengewirr hörte Paul vereinzelt »Feuer?«-Rufe, allzu besorgt sah aber eigentlich niemand aus. Am Ende standen
die knapp dreißig Mitarbeiter des Camps in drei Reihen um Dr. Zernott, der sie alle wie ein Leuchtturm weit überragte.
»Alles an Bord?«
Zustimmendes Gemurmel.
»Ich freue mich sehr, euch meinen Sohn Pablo vorstellen zu dürfen. Er wird für drei Wochen bei uns im Camp sein. Und weil
das so ist, habe ich mir gedacht, dass wir heute Abend eine kleine spontane Fiesta feiern sollten. Bringt etwas zu essen mit,
wenn ihr habt, eure Musikinstrumente und gute Laune – für die Getränke, Grillhähnchen und ein Spanferkel werde ich sorgen.«
»Ay Doctor Ceñoto, ay Pablo!«
Die Ankündigung des Biologen löste allgemeine Begeisterung aus, was vor allem Paul zu spüren bekam. Er wurde umarmt und auf
die Wangen geküsst, seine Schultern wurden beklopft und seine Hände geschüttelt, und er war schließlich froh, als sich der
Platz allmählich wieder leerte. In den nächsten zwei Stunden stieg dann eine Symphonie der köstlichsten Düfte über dem Camp
empor. Aus allen Küchenfenstern zischte und brodelte, klapperte und klirrte es, überall summten und sangen die Bewohner in
Vorfreude auf das Fest.
Während sich auch sein Vater und Oma Esmeralda in die Arbeit stürzten, wusste Paul bei so viel freier Zeit nichts Rechtes
mit sich anzufangen.
»Besuch doch Juanito«, rief ihm sein Vater über die Schulter zu, während er ein Dutzend Flaschen mexikanisches Bier kühl stellte,
»bei der Gelegenheit kannst du auch Estébans Familie zum Fest einladen!«
»Und wie komme ich dorthin?«
»Ganz einfach. Geh runter zur Anlegestelle. Links von dem Felsen, an dem die Leinenhaken eingeschlagen sind, führt ein kleiner
Pfad zwischen Büschen und Farnen hindurch zu Estébans Pfahlhütte. Keine fünf Minuten vom Anleger entfernt.«
Das ließ sich Paul nicht zweimal sagen. Er schnappte sich noch zwei Tortillas vom Esstisch und war in null Komma nichts zur
Tür heraus.
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Diebe im Camp!
»Das glaub ich einfach nicht!«
Wolfs Stimme klang so wütend, dass sich Paul unwillkürlich wegduckte. Er war noch etwa fünfzig Meter von der Anlegestelle
entfernt und hatte trotzdem jedes Wort verstanden.
»Warum regst du dich so auf, dann fahren wir eben ohne Begleitung.« Das war Joe. Der Anakondajäger schien sich über den Ausbruch
des Dschungelführers ein wenig zu wundern. »Wir kommen auch ohne Zernott und seine Leute klar.«
»Ja? Ohne Benzin und Ersatzmotor? Du hast mir gesagt, die Bohnenstange gibt uns alles, was wir brauchen. Und morgen früh brauchen
wir Benzin. Viel Benzin!«
»Wer hindert dich daran, hier im Camp Benzin zu kaufen? Das können sie uns nicht verweigern.«
»Und wovon soll ich das Benzin bezahlen? Und den Ersatzmotor, he?«
»Geld, Geld. Kannst du an nichts anderes denken? Hier, das wird ja wohl reichen!«
Paul schlich sich näher an die beiden heran und konnte gerade noch erkennen, wie der Anakondajäger ein Bündel Banknoten aus
seiner Brieftasche hervorzog und Wolf unter die Nase hielt.
Wolf steckte das Geld ein und brummelte irgendetwas Unverständliches in seinen Stoppelbart.
Fieberhaft überlegte Paul, wie er, ohne Verdacht zu erregen, an den beiden vorbeikommen könnte. Behutsam lief er ein Stück
zurück in Richtung Camp, drehte dann um und hüpfte, ein Lied pfeifend, noch einmal hinunter zur Anlegestelle. Als er die Lichtung
am Flussufer erreicht hatte und unvermittelt vor Wolf und Joe stand, blieb er scheinbar überrascht stehen.
»Oh, hallo, was macht ihr denn hier?«
Paul sah die beiden erwartungsvoll an, erhielt aber keine Antwort. Wolf schnaubte nur verächtlich, erhob sich von dem Felsblock,
auf dem er gesessen hatte, und verschwand. Auch Joe, der sonst in einer Tour quasseln konnte, zuckte nur mit den Schultern.
»Wir feiern heute Abend im Camp ein Fest, kommst du auch?«
»Nein, nein. Ich werd heute früh schlafen gehen. Morgen brechen wir auf.
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