Das Versteck der Anakonda
verschwunden. Juanitos Augen sprühten Blitze.
Auch Paul wurde mit einem Schlag hellwach. Seine Schnur spannte sich bis zum Zerreißen. Der Ruck hätte ihn beinahe vom Baumstamm
gezogen. Zwei Meter von ihnen entfernt rumorte es gewaltig unter der Wasseroberfläche. Auch Juanito hatte einen Fisch am Haken
und begann, seine Schnur aufzuwickeln. Paul war eine Idee schneller. Doch gerade als er den wild das Wasser peitschenden,
rotschwarz schillernden Fisch am Vorfach aus dem Fluss ziehen wollte, hielt Juanito seinen Arm zurück.
»Warte. Nicht so tief anfassen, wenn du alle zehn Finger behalten willst!«
Paul schrak zurück. Als er schließlich sah, was er da gerade aus dem Wasser zog, wurde ihm leicht schwindelig.
»Sind das nicht … das sind doch … Piranhas. Oder!?«
»Ja, genau. Wieso?«
»Öm, haben wir gerade etwa in einer Piranhabucht gebadet? Ich meine … wusstest du, dass hier Piranhas sind?«
»Klar. Ohne Piranhas im Wasser keine gegrillten Piranhas am Feuer, nicht wahr?«
»Ja, schon. Aber ich wusste ja gar nicht, dass wir … also wie soll ich sagen, es gibt ja auch noch andere Fische.«
»Aber keine, die sich so blind auf alles stürzen, was halbwegs nach Fleisch riecht.«
»Und wir riechen wie Lakritzbonbons, oder was?«
Juanito sah Paul fragend an, aber der hatte keine Lust, ihm Nachhilfeunterricht in Sachen Süßigkeiten zu geben.
»Mensch, wir hätten tot sein können!«
Für einen Moment sah es so aus, als würde Juanito wieder loslachen. Doch dann holte er tief Luft und beruhigte den Amazonas-Neuling.
»Solange du in Bewegung bleibst und nicht blutest, tun sie dir nichts. Es sei denn, sie haben fürchterlichen Hunger!«
»Na, dann haben wir wohl Glück gehabt. Wahrscheinlich waren die Jungs gerade erst Currywurst essen!«
Waren sie aber wohl doch nicht. Denn die Raubfische mit den scharfen Zähnen schlangen die beköderten Angelhaken mit einer
Gier in ihren Schlund, als hätten sie eine lange Fastenkur hinter sich. Für die zwei Dutzend stattlichen Fische, die sie am
Ende als Jagdbeute auf Bambusstäbe gespießt über der Schulter trugen, hatten die beiden Jungen kaum mehr als eine Stunde gebraucht.
Selbst Joe, dem Paul voller Mitleid am Ende sein Angelzeug überlassen hatte, war nach fünf gelandeten Piranhas stolz wie Oskar.
Gerade als sie sich auf den Weg zurück zum Camp gemacht hatten, legte Juanito den Finger auf die Lippen.
»Pssschscht!«
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Ein Fest für Paul
Paul und Joe erstarrten und sahen sich erschrocken nach allen Seiten um. Vor lauter Angelfieber hatten sie die Schrecken des
Hinwegs schon wieder vergessen gehabt.
»Drei Bootsmotoren: Doctor Ceñoto und die Männer vom Camp!«, verkündete Juanito.
Pauls Herz machte einen kleinen Hüpfer. Er folgte Juanitos ausgestrecktem Finger flussabwärts, konnte aber weder etwas hören,
geschweige denn sehen. Juanito musste unglaublich gute Ohren haben. Erst eine ganze Weile später hörten auch Paul und Joe
das unregelmäßige Tuckern der Bootsmotoren. Und dann endlich waren sie zu sehen: Drei große Einbäume, besetzt mit jeweils
zwei Männern, hielten in Flussmitte auf die Bucht zu.
Wie es aussah, waren auch die drei Angler bereits entdeckt worden, denn die Bootsbesatzungen sahen zu ihnen herüber.
Vor allem eine Silhouette stach aus allen anderen heraus. Am Bug des vorderen Bootes saß eine unglaublichlange, dürre Gestalt. Einen Schlapphut auf dem Kopf, ein Fernglas vor den Augen, sah der Mann in ihre Richtung. Auf einmal
kam Leben in den Riesen. Wie Windmühlenflügel, die nicht mehr wissen, in welche Richtung sie sich drehen sollen, schwenkte
er seine dünnen Arme und rief: »Paul! Junge! Paul! Hey, Leute, seht mal, das ist mein Sohn Pablo. Seht ihr ihn?«
Mit wilden Gesten trieb Dr. Zernott den Mann am Steuer an, das Boot geradewegs in die Angelbucht zu steuern. Kaum waren sie in flacherem Wasser angekommen,
kletterte er aus dem Einbaum an Land und öffnete seine langen, von unzähligen Moskitos zerstochenen Arme. Paul warf sich ihm
entgegen. Eine Weile standen sie da, ohne sich zu rühren. Sein Vater hatte sich ungelenk tief zu ihm heruntergebeugt, während
Paul auf Zehenspitzen balancierte, um seine Arme um die dürren Schultern seines Vaters zu legen.
»Du kratzt!«
»Oh, entschuldige.«
Pauls Vater strich sich verlegen über den stoppeligen Dschungelbart. Dann strahlte er wieder wie ein kleines Kind und streichelte
seinem Sohn über das Haar.
»Du
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