Das versteckte Experiment (German Edition)
Sonne stört“, sagte Petersen.
„Dann sehe ich ja erst recht nichts!“ rutschte es Jan heraus. Jedenfalls diese unbedachte Bemerkung hatte Petersen wohl nicht verstanden, obwohl Jan ein leichtes Grinsen in seinem Gesicht zu erblicken glaubte.
Eigentlich war Petersen ganz in Ordnung, wenn er nur nicht dieses langweilige Fach lehrte. In Mathematik hatten sie einen anderen Lehrer. Merkwürdigerweise hatte Petersen in Mathematik kein Examen abgelegt, was für Physiklehrer eher selten war. Stattdessen unterrichtete er als zweites Fach Biologie. Petersen war schon fast 60 Jahre alt, ziemlich groß und dürr und trug offensichtlich immer noch dieselbe Jeans, die er bereits 1967 in Woodstock anhatte, dazu ein weißes Oberhemd und im Zweiwochenzyklus jeden Tag eine andere, meistens nachlässig gebundene Krawatte. Jan glaubte, dabei immer die gleiche Abfolge erkannt zu haben. Doch zumindest einmal hatte Petersen die Reihenfolge unterbrochen. Das war an dem Tag nach seinem dreißigjährigen Dienstjubiläum. Die Klasse hatte ihm das Buch „Die 85 Methoden, eine Krawatte zu binden“ geschenkt, von zwei Physikern aus Cambridge geschrieben. An diesem Tag trug Petersen einen dunkelblauen Schlips mit dem berühmten Motiv, das Albert Einstein mit ausgestreckter Zunge zeigt. Die Klasse verstand Petersens Retourkutsche. Das war der Stil ihres Physiklehrers: streng, nie ungerecht und immer die passende Antwort parat. Diese Eigenschaften und seine guten Fachkenntnisse sicherten ihm die notwendige Autorität.
Jans Schulweg war kurz. Er wohnte mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester in einer Doppelhaushälfte am Rande der Stadt. Als er zu Hause ankam, schloss er die Haustür auf, rief seiner Mutter, die in der Küche stand, die Worte „Nichts Besonderes“ und „Ich wärm mir was auf“ zu und verschwand in seinem Zimmer. Die Mutter akzeptierte inzwischen die Antworten auf die beiden ungestellten Fragen „Was gab es heute in der Schule?“ und „Kommst du gleich zum Essen?“.
Jan warf sich auf die Schlafcouch, die er meistens als Bett nutzte. „War ein schwerer Tag heute“, seufzte er. Seine Gedanken kreisten um alles Mögliche, um die wenigen Ereignisse des Tages, aber mehr noch um kleine und große Zukunftsträume. Manchmal erreichte er einen Bewusstseinszustand zwischen Wach- und Schlaftraum. In diesen Phasen mischten sich Bilder, die er durch bewusste Gedanken produzierte, mit Bildern, die nicht beeinflussbar waren und offensichtlich während des Sekundenschlafs erzeugt wurden. Diese hatten aber meistens einen Zusammenhang mit den ursprünglichen Gedanken. So entstanden oft kleine Kurzgeschichten mit absurden Handlungen. Aber anders als im richtigen Traum konnte er die Handlungen bis zu einem gewissen Grad mitbestimmen, indem er sich in den Wachphasen auf bestimmte Gedanken und Vorstellungen konzentrierte.
Er erinnerte sich an die Situation heute Morgen, als Angela über den Schulhof ging. Jan saß jetzt jedoch nicht im Klassenzimmer, sondern stand auf dem Schulhof. Angela kam auf ihn zu. Ihr Busen wippte mit einer Amplitude, die darauf schließen ließ, dass sie heute keinen BH trug. Die Wippfrequenz entsprach ihrem Gang, wie die physikalischen Gesetze es vorschreiben. Angela trug eine Bluse, die mit etwas Glück durchsichtig sein konnte. Gleich würde das Geheimnis transparent werden. Noch 20 Meter, noch 10 ... was war das? Plötzlich wurde es ganz hell, das Licht blendete ihn und dort, wo er gerade noch seine Traumfrau sah, erblickte er die Sonne, wie er sie aus alten Kinderbüchern kannte, mit Augen, Nase und einem breit lachenden Mund. Im selben Augenblick setzte wieder die Wachphase ein.
Die Sonne schien es heute auf ihn abgesehen zu haben. Er überlegte, ob er noch einen Versuch machen sollte. Vielleicht würde die Geschichte diesmal anders ausgehen. Nein, am besten ging er das Problem jetzt an der Wurzel an. Er stand auf, setzte sich an seinen Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Die Festplatte röhrte, Speicherprüfung, Virencheck ... Endlich verschwand die Eieruhr. Er startete den Internetbrowser und fütterte die Suchmaschine mit den Begriffen Astronomie und Sonne. Obwohl er nur den deutschsprachigen Raum durchsuchte, erhielt er einige Hunderttausend Suchergebnisse. Einfacher wäre es wohl, wenn er im Internet jemanden fände, der ihm seine Fragen beantworten könnte. Er stöberte in verschiedenen Foren und Chats, die irgendetwas mit Naturwissenschaften zu tun hatten. Schließlich landete er
Weitere Kostenlose Bücher